In Ungarn zeichnet sich ab, was passiert, wenn der real existierende Patriotismus politische Macht innehat.
Das neue ungarische Zensurgesetz gibt der Regierung besondere Möglichkeiten in die Hand, darauf einzuwirken, was in den Medien vorkommt, und was nicht.
Die Proteste gegen das Zensurgesetz beispielsweise kommen in den öffentlich-rechtlichen Medien, die der Zensur der Fidesz-kontrollierten staatlichen Nachrichtenagentur unterliegen, kaum vor. Private Medien legten sich diesbezüglich zunächst aus Angst vor Sanktionen eine Selbstzensur auf.
Die ungarischen Publikationen deutscher Medienhäuser wie der WAZ-Gruppe, der Axel-Springer AG, in der auch das Abendblatt erscheint, haben bislang geschwiegen. Und das Fernsehen? Enthielt sich auch. Weder die RTL Group noch ProSieben Sat.1 bezogen Position, dabei wurde gestern bekannt, dass auch gegen den Sender RTL Klub ein Verfahren eingeleitet wurde. Eine Sendung über einen Mord in einer Familie in Südungarn vom letzten Oktober wurde als zu „reißerisch“, „jugend- und sogar erwachsenengefährdend“ bewertet. RTL Klub, das alle Anschuldigungen zurückweist, gilt in Ungarn als linksliberaler Sender.
Im Staatsfunk wird jeder Protest gegen das Gesetz unterdrückt. So versetzte man den beliebten Moderator des Morgenmagazins „180 Minuten“ in den Ruhestand, weil er in seiner Sendung mit einer Schweigeminute gegen die Einschränkung der Pressefreiheit protestierte. Sein Chef muss seither im Archiv arbeiten. Im Fernsehen wurde eine Sendung unterbrochen, weil ein Gast Protest anmeldete. Es erschien das Senderlogo, der Gast wurde aus dem Studio komplimentiert. Die westliche Kritik am Mediengesetz findet in den Hauptnachrichten nicht statt. Ungarische Kollegen berichten ganz offen von den Weisungen ihrer Verlagschefs, die sich eine „gefahrlose“ Berichterstattung wünschen. Die Selbstzensur, schon zuvor eine gute Bekannte in den Redaktionsstuben, scheint dort nun endgültig eingezogen zu sein.
(dazu auch dieses Video)
Zeitungen, die schon vor Errichtung der Zensurbehörde kritisch berichteten, bekamen schnell den Hammer der Regierung zu spüren:
Was vielen Zeitungen derzeit weitaus größere Sorgen bereitet als eine mögliche Zensur, ist der stille Boykott der staatlichen und staatsnahen Institutionen, die ihre Werbung jetzt auf genehme Publikationen konzentrieren. Allein Népszabadság soll im zweiten Halbjahr 2010 runde 200.000 Euro an Werbeeinnahmen verloren haben.
Aus einem Interview in der Bild wird klar, wohin die Reise geht(ich kürze auf drei wichtige Aussagen ab):
Zunächst einmal sagt Orban völlig offen:
“Die Medienbehörde ist ein Regierungsorgan”
Diese Behörde ist neu. Es ist kein also Naturgesetz, dass eine solche Behörde ein Regierungsorgan ist, sondern eine willentliche Entscheidung der Fidesz-Partei. Weiter:
”Und ich fände es auch falsch, wenn dort nach Parteienproporz[*] Sitze vergeben würden.”
[*]Erläuterung
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Eine Einparteienregierung errichtet per Verfassungsänderung eine Behörde, die tiefgreifenden inhaltlichen Einfluss auf die Medienlandschaft nehmen kann, und allein dieser Regierung untersteht.
Schlimm genug, dass sich die Regierung der Medien ermächtigt – es kommt noch besser. Der Kopf dieses “Regierungsorgans” wurde, natürlich von der aktuellen Regierung, mit einem Parteimitglied der Regierung, für neun Jahre, also über die eigentliche Regierungszeit hinaus besetzt. Selbst dann also, wenn die Fidesz-Partei die nächste Wahl verlieren sollte, hat sie weiterhin dieses “Regierungsorgan” unter Kontrolle. Das findet Orban gut, weil:
“ (…) sie unabhängig sein sollen vom Zyklus der Neuwahlen des Parlaments.”
Hierbei gilt:
Laut geänderter Verfassung darf der NMHH-Präsident ohne parlamentarische Kontrolle Verordnungen und Vorschriften erlassen.
Da die Medienkontrollbehörde durch eine Verfassungsänderung eingeführt wurde, erfordert es eine 2/3-Mehrheit im Parlament, dies wieder zu ändern. Es ist hierbei unwahrscheinlich, dass Konkurrenzparteien diese Mehrheit nach der nächsten Wahl erhalten *und* sich einigen. Selbst dann also, wenn die Fidesz-Partei abgewählt wird, wird sie die Kontrolle über diese Medienbehörde behalten und Verordnungen erlassen können.
Die Fidesz-Partei hat ihre politische Wirkungsmacht damit über die durch den Wähler bestimmte Regierungsperiode hinaus ausgeweitet. Dies könnte man auch als Selbstermächtigung bezeichnen.
Welcher grundsätzlichen Art dieses Regime ist, ist dabei besonders interessant. In einem Interview auf Spiegel Online heißt es:
Marsovszky: Orbán hielt im April 2008 eine Rede vor Kirchenvertretern, in der er sinngemäß sagte: Wir wollten 1989/90 eine Wende, aber wir müssen einsehen, dass diese Wende keine richtige völkische Wende war. Er verwendete den Begriff „népi-nemzeti“, das heißt auf Deutsch „völkisch“ und auf Englisch, vom Zeitgeschichtsprofessor Roger Griffin übersetzt, „ethnic racial community“, das heißt: eine Volksgemeinschaft. Es gibt Belege dafür, dass hier eine organisch gewachsene, biologische Abstammungsgemeinschaft gemeint ist: das Magyarentum. Dies geht mit einem deutlichen Homogenisierungsdruck einher: Alle, die nicht im Sinne dieser Volksgemeinschaft denken, werden ausgegrenzt.
(…)
SPIEGEL ONLINE: Hat sich dieses Denken seit der Wende um 1989/90 Ihrer Meinung nach verstärkt? Oder war es schon vorher angelegt?
Marsovszky: Das völkische Denken ist in Ungarn genauso alt wie in Deutschland, und es hat sich auch parallel entwickelt. Aber während die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg zum großen Teil demokratisiert wurde, kam in Ungarn der Realsozialismus – und da gab es eben auch völkische Denkweisen. Gegen Ende dieser Zeit gab es dann schon mal Ansätze der Demokratisierung, aber sie wurden nach der Wende immer mehr unterdrückt. Nun hat das völkische Denken gesiegt.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist ihm das gelungen?
Marsovszky: Nach 2002, als Viktor Orbán und Fidesz, die ja schon einmal an der Regierung waren, die Wahl verloren hatten, hat Orbán eine sehr geschickte Strategie eingeführt, indem er sogenannte „Bürgerkreise“ gründete. Sie sollten als ziviles Netz von unten her das völkische Denken verbreiten – und tatsächlich haben sie damit sehr gute Ergebnisse erzielt. Wichtig ist, dass dieses völkische Denken kein demokratisches Denken ist, weil es sich immer wieder durch Feindbilder definiert. In diesen acht Jahren waren das die Linken und Liberalen. Roma und Homosexuelle.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie davon sprechen, dass sich die völkische Ideologie über Feindbilder definiert – gibt es auch ein positives Selbstbild?
Marsovszky: Sie sagen: Wir kämpfen für das Magyarentum, für die magyarische Einheit – aber implizit sind darin die Feindbilder mitenthalten. Die Homogenisierung richtet sich automatisch gegen alle, die anders denken. Der demokratische Widerstreit wird aufgefasst als etwas, was Unordnung ist, was Chaos bringt. Tatsächlich ist diese Dichotomisierung von Feind/Freund ständig in den Reden und in den Medien enthalten. Es ist ganz typisch, dass die Kommunikation von Fidesz daraus besteht: Wir sind die Ordnung. Wir sind das Licht. Und die andere Seite ist Chaos, der Teufel sogar.
Möglicherweise wird tatsächlich erst dann in kritischem Maße von der neuen Medienmacht gebrauch gemacht, wenn die Fidesz nicht mehr über die legislative Gestaltungskraft verfügt. Dann könnte sie über die von ihr kontrollierten und gleichgeschalteten Öffentlich-rechtlichen Medien und über das von ihr kontrollierte Damoklesschwert, das über die privaten Medien gehängt wurde, die Stimmung im Land mit weniger Aufwand beeinflussen, als es über die “Bürgerkreise” geschah.
Es geht aber noch weiter. Das Fidesz-Regime langt jetzt auch bei der Kultur- und Bildungsförderung zu. Politisch nicht genehme Einrichtungen werden kurzerhand aufgelöst.
Die Realität in Ungarn sieht daher schon heute so aus:
21. Januar 2011 at 19:41
[…] Kruppzeuch: Wenn man den Rechten zu viel Raum lässt… […]