Europa kriselt – zumindest in einem Teil Europas, und zwar einerseits aufgrund der Finanzkrise von 2008, andererseits aufgrund der Schuldenkrise im Euroraum.
In dieser Situation tauchen vereinzelt Stimmen nach einer Abschaffung des Euro(Sarrazin) und der Europäischen Union insgesamt(Nazis und andere VT-Fanatiker) auf. Beides steht selbstredend nirgends ernsthaft zur Debatte.
Die Konservativen auf der anderen Seite bestehen natürlich auf der Bewahrung eines verlässlichen Status Quo, was momentan per ESM und Fiskalpakt geschieht. Kostengünstiger als die erstgenannten “Alternativen” ist das sicherlich, kostet jedoch immer noch recht viel. Das anfänglich angedachte “Anarchistische” Konzept der FDP, betroffene Banken und Staaten einfach pleite gehen zu lassen, fand nirgends ausreichend Unterstützung. Weder in Deutschland, noch in europäischen Partnerländern. Weitere nennenswerte Alternativen sind bisher nicht bekannt, weshalb auch die wesentlichen Teile der Opposition den bekannten Maßnahmen zustimmten.
Das ist ein Teil der derzeitigen Problemlage europäischer Ebene, soll aber an dieser Stelle nicht bewertet werden. Mindestens ebenso problematisch ist die Tatsache, dass die Ebene auf der das Geld weitergereicht wird, namentlich die Europäische Ebene, unter einem Legitimationsdefizit leidet.
Dieses ist demokratischer Art und betrifft vor allem die Europäische Regierung, die Kommission. Sie verfügt praktisch allein über das Initiativrecht, wird jedoch von den einzelnen Staatsregierungen “eingesetzt”. Von 27 Kommissaren ist also einer – indirekt – von der Bevölkerung Deutschlands gewählt worden, einer von der Bevölkerung Frankreichs, einer von der Bevölkerung Italiens, usw. – Die demokratische Legitimation der Gesamtkommission ist der Bevölkerung daher nur schwerlich vermittelbar. Anders ist dies beim Parlament, das von der Gesamtbevölkerung gewählt wurde. Dieses verfügt jedoch nicht über ein Initiativrecht, sondern kann höchstens ein Veto gegen Gesetzesinitiativen der Kommission einlegen.
Dieses Missverhältnis zwischen tatsächlicher Macht und tatsächlicher Bürgervertretung begründet die Legitimationskrise, in der sich die EU derzeit befindet. Sehr eindrucksvoll zeigte sich dies im Fall des ACTA-Abkommens, insbesondere, was den Entstehungsprozess angeht, der weithin als undemokratisch empfunden wird. Zwar führt die Kommission dieses Empfinden auf ein Kommunikationsdefizit zurück, das ist jedoch nur ein Teil des Problems. Mangelhafte mediale Kommunikation der europäischen Perspektive ist tatsächlich ein schwerwiegendes Problem. Problematisch ist jedoch auch die Struktur als solche, die immer wieder zu Hinterzimmerpolitik führen wird.
Ein perspektivenreicherer Ansatz für eine Lösung der diesbezüglichen Problematik findet sich bei ZEIT-Online. Unter der Überschrift “So geht’s nicht weiter, Europa!” findet sich ein Plädoyer für eine stärkere Demokratisierung der EU. Hierbei werden auch sehr bedenkenswerte Vorschläge geliefert:
– Eine echte parlamentarische oder präsidentielle europäische Demokratie, mit einer gemeinsamen Regierung, einem europäischen Finanzminister, einem womöglich direkt gewählten Präsidenten, der die Mitglieder seines Kabinetts, der bisherigen EU-Kommission, selbst auswählt – nach Kompetenz und nicht mehr nach nationalem Proporz.
– Ein machtvolleres Parlament aus direkt gewählten Abgeordneten, die selbst Gesetze einbringen dürfen, die die europäische Regierung bestätigen müssen und sie kontrollieren – in Kooperation mit den nationalen Parlamenten. Und eine zweite Kammer, ein gewählter Senat oder ein europäischer Bundesrat nach Vorbild des deutschen, in dem die Regierungschefs der Mitgliedsländer – der jetzige Europäische Rat – sitzen und mitbestimmen.
– Mit europäischen Parteien, die sich zusammenschließen aus den bestehenden konservativen, sozialdemokratischen, liberalen, grünen und sonstigen Parteifamilien. Und mit einer sich herausbildenden europäischen Öffentlichkeit und europaweiten Medien in den verschiedenen Sprachen.
– Eine Wirtschafts-, Haushalts-, Steuer- und Sozialunion, mit unterschiedlichen Ausprägungen wie in den deutschen Bundesländern, aber klaren Vorgaben und vereinheitlichten Standards.
– Und schließlich eine Haftungs- und Transferunion nach dem Muster des deutschen Finanzausgleichs. Auch dort leisten die Länder untereinander und der Bund den Notleidenden Hilfe. Aber nach Maßgabe übergreifender Regeln und mit dem erklärten Ziel, diese Hilfen irgendwann überflüssig zu machen – festgehalten schon jetzt im Fiskalpakt.
Ich stimme nicht mit allen Details der Vorschläge zu 100% überein. Sie sind jedoch etwas, worauf eine konkrete Perspektive aufgebaut werden kann. Eine Perspektive fehlt in der gesamten EU-Debatte völlig.
19. Juli 2012 at 23:22
Das Legitimationsproblem hat seine Wurzel schon darin, dass die Nationen Europa als Mittel(!) für die Steigerung der jeweils eigenen Machtpotenz und nicht als Endzweck sehen, in das sich alle auflösen würden oder so. Was man als Einzelstaat nicht vermag – die Konkurrenz zur USA, China usw. –, soll mit dem EWR und Euro als Weltgeld gehen. Dafür sollen sich die Einzelstaaten unterordnen und was immer aus dieser Unterordnung an Pflichten entsteht, steht zunächst unter dem Verdacht, nicht als Mittel dem nationalen Erfolg zu dienen. Mag sein, dass demokratische Elemente das zerstreuen, aber ich bin da eher skeptisch.