Viele fragen sich aufgrund der Undefiniertheit und damit Beliebigkeit des Begriffes “Integration”, was damit eigentlich gemeint ist. Man kann es kurz fassen: Alles und nichts.
Letztlich wird überall, wo dieser Begriff auftaucht, nur darüber diskutiert, was denn mit dem Begriff “Integration” gemeint sei, wie man ihn definiert, wer “integriert” ist, und wer nicht, usw., und zwar seitdem dieser Begriff in der Welt ist, und so lange er in der Welt ist. An diesen Diskussionen erfährt man immer wieder, dass es darüber keine Einigkeit gibt. Einfach deshalb, weil “Integration” ein zutiefst emotionaler, jedoch inhaltlich leerer Begriff ist, den jeder Mensch mit seinen persönlichen Wunschvorstellungen füllt. Entsprechend kontrovers verlaufen dann sämtliche Diskussionen um diesen Begriff.
1. Für manche ist Integration, dass ein Mensch die geltenden Gesetze™ achtet, und sich an sie hält. Nur: Wäre dann die politische Betätigung in einer Partei, die ja immer auch darauf abzielt, geltende Gesetze zu ändern, ein Zeichen für unterschwellige Unintegiertheit? Wohl nicht. Auftauchende Kritik an dem einen oder anderen Gesetz ist ein wesentliches Merkmal der demokratischen Gesellschaft. Ebenso ist Kriminalität ein bereits bekanntes Merkmal der Gesellschaft, wenn auch ein unschönes. Integration kann in der realen Praxis eben auch bedeuten, dass Mehmet und Stefan gemeinschaftlich ein Ladendiebstahl-Abenteuer begehen. Da sind gleiche Maßstäbe anzulegen. Wer hier also einen Stefan nicht als “unintegriert” bezeichnet, sollte es auch bei einem Mehmet oder Thijs unterlassen.
2. Für andere ist “Integration”, dass man sich in seinem Verhalten an den Gepflogenheiten der Mehrheit™ orientieren soll. Demnach sind z.B. Punks unintegriert. Gesichtstätowierte, Männerrocktragende Geeks, die sich vegan ernähren und der Hausbesetzerszene angehören, sind es sowieso. Das gleiche gilt in NRW für Fans von Jodelgesängen, Lederhosen und Weizenbier, speziell in Düsseldorf für Kölschtrinker. Wenn “Integration” wirklich hieße, man dürfe in der Masse nicht auffallen, dann würden unheimlich viele Menschen als unintegriert gelten. Das ist es also auch nicht, worum es gehen kann.
3. Für manche ist die offensive “Identifikation mit Deutschland™” die maßgebliche Messgröße für “Integration”. Sprachkenntnisse, Rechtschaffenheit und Bildungsstand werden völlig unwichtig, wenn der schwarz-rot-goldene Joker gespielt wird, wenn man sich also zwecks kollektiver Identifikation einem “gemeinsamen Banner” unterordnet. Ist das Fähnchen jedoch einmal nicht zu sehen, dann greifen wieder alle anderen “Erfordernisse” für den Stempel “Integriert”. Fähnchenschwenken integriert also nicht.
4. Für manche bedeutet “Integration” schlicht, die Deutsche Sprache™ zu beherrschen, wobei hier bereits differenzierte Forderungen gestellt werden. Für die einen ist man integriert, wenn man sich auch ohne gekonnte Wortbeugungen und korrekt ausgewählte Artikel in einer deutschsprachigen Gesellschaft bewegen kann. Andere setzen für den Stempel “Integriert” ein intellektuelles sprachliches Niveau voraus, das nur ein Bruchteil der Gesellschaft für sich erschlossen hat. Aber auch hier kann man nicht von “Integration” sprechen, denn selbst Leuten mit perfekten Deutschkenntnissen und guter Bildung wird häufig genug mangelnde Integration vorgeworfen.
Im Schulunterricht werden Deutschkenntnisse permanent weiterentwickelt und kontrolliert, in Kindergärten und Grundschulen wird ein besonderes Augenmerk auf die Sprachkompetenzen geworfen, und spezifischer Förderbedarf ermittelt. An die Schülergeneration kann sich also allenfalls eine Forderung richten, die an alle Schüler gleichermaßen gerichtet ist oder zumindest sein sollte: Fleißig zu lernen. Mit dem Thema “Integration” hat das jedoch nichts zu tun. Allenfalls könnte hier eine Note an die Eltern der SchülerInnen gerichtet werden, den wichtigen schulischen Aufgaben nicht im Wege zu stehen.
An die Gastarbeitergeneration kann sich die Forderung nach dem Spracherwerb auch nicht richten. Diese Generation wurde ja gerade unter der Bedingung eingeladen, dass sie sich nicht allzu sehr an die Gesellschaft anpasst, also auch die Sprache möglichst nicht beherrscht. Viele davon sind bereits in einem Alter, in dem das Erlernen von Sprachen generell unheimlich schwierig ist. In den meisten Fällen hat sich dennoch über die Jahre eine Sprachkenntnis herausgebildet, die für die meisten notwendigen Alltagsaktivitäten völlig ausreichen. Für alles darüber hinausgehende gibt es das Heer der Bi- bis Trilingual aufgewachsenen Folgegenerationen.
Bleiben also im Bereich des Spracherwerbs nur diejenigen, die in den letzten Jahren zugewandert sind, oder noch zuwandern werden. An diese Menschen gerichtet kann der Hinweis, dass die Kenntnis der Deutschen Sprache unheimlich viele Vorteile mit sich bringt, nicht falsch sein. Ein solcher Hinweis macht jedoch zumindest in einer Konstellation kaum Sinn: Nämlich dann, wenn professionelle Kurse fehlen, unerschwinglich sind oder lange Wartelisten haben, und das Herkunftsland die Türkei ist. In einem Land nämlich, dessen (Zahlen- und Flächenmäßig) größte Minderheitensprache Türkisch ist, können sich im Alltag nämlich durchaus Alternativen zu Erwerb und Anwendung der deutschen Sprache ergeben, wenn es für letzteres keine adäquaten Angebote gibt.
In den meisten Fällen gehen Diskussionen um “Integration” jedoch an der Lebensrealität der meisten Menschen sowieso vorbei. Der Ruf nach “Integration” kann sich, wenn überhaupt, dann nur an diejenigen Menschen richten, die gerade einwandern, und das sind nicht viele.
Für Menschen, die im Land geboren wurden, muss generell gelten:
Weshalb sollte ich mich in eine Gesellschaft integrieren, der ich schon seit meiner Geburt angehöre und in der ich mein ganzes Leben hier verbracht habe?
Dieser Punkt wird in Integrationsdebatten häufig übersehen. Weshalb sollte man Menschen, die (wie die Mehrheit aller Menschen des Landes) in das Land hineingeboren und durch die Gesellschaft des Landes geprägt wurden, eine irgendwie geartete, rein ethnisch begründete Sonderleistung namens “Integration” abverlangen?
Schon das plakative, meist als Lob gemeinte Attribut “Integriert” ist in solchen Fällen bereits eine Beleidigung – denn wo das “integriert sein” einer Person lobend betont wurde, ging zuvor immer die (in der Regel mit negativen emotionen assoziierte) Erwartung voraus, sie sei “Unintegriert” – also ein Vorurteil.
Der Begriff “Integration” war früher einmal nützlich gewesen, um eine Diskussion darüber anzustoßen, ob und welche Probleme bei bedingungsfreier Zuwanderung auftreten können. Dabei kristallisierten sich dann einige Schlagworte wie “Spracherwerb”, “Bildung”, “Armut”, “Kriminalität” (in dieser kausalen Reihenfolge) heraus. Dinge, die bereits (in nicht ausreichender Weise) politisch angegangen werden.
Darüberhinaus kam zwischenzeitlich noch der Begriff “Partizipation” ins Spiel. Leider wurde darüber auf politischer Ebene nur sehr wenig diskutiert, der Begriff von einigen sogar als “Anmaßung” verworfen. Im Grunde ist das Merkwürdig, denn erfolgreiche Integrative Politik ist ja an nichts anderem als am Grad der Partizipation empirisch messbar. Ebenso, wie es in der Gleichstellungspolitik der Fall ist.
Mittlerweile ist der Begriff “Integration” möglicherweise sogar hinfällig geworden. Wenn schon die politischen Strömungen, Einstellungen und Ideologien, die aus den Ursprungsländern(hauptsächlich Türkei) mitgebracht wurden, (spätestens durch das Mitwirken von Erdogan) von der außenpolitischen Sphäre in die innenpolitische gebracht wurden, und seitdem permanent auch Gegenstände innenpolitischer Auseinandersetzungen sind, zwar teils in unschöner und rabiater Weise, teils aber sachlich, und stets unter innenpolitischem Vorzeichen, dann sind sie bereits integriert. Man könnte also möglicherweise sagen: Wir leben bereits in der Post-Integrations-Phase, und es beginnt die Phase der zunehmenden Partizipation, des Teilnehmens als aktives Subjekt und nicht mehr als passives Objekt, in allen gesellschaftlichen Bereichen. Von der Reinigungsfachkraft und dem Schneider über den Lehrer, Anwalt, Journalist, Arzt, Manager – bis hin zum Kommunal/Landes/Bundes/Europapolitiker.
Gemessen wird dies an der tatsächlichen Partizipationsquote.