Archiv der Kategorie: Europa

Perspektive gesucht

Europa kriselt – zumindest in einem Teil Europas, und zwar einerseits aufgrund der Finanzkrise von 2008, andererseits aufgrund der Schuldenkrise im Euroraum.

In dieser Situation tauchen vereinzelt Stimmen nach einer Abschaffung des Euro(Sarrazin) und der Europäischen Union insgesamt(Nazis und andere VT-Fanatiker) auf. Beides steht selbstredend nirgends ernsthaft zur Debatte.

Die Konservativen auf der anderen Seite bestehen natürlich auf der Bewahrung eines verlässlichen Status Quo, was momentan per ESM und Fiskalpakt geschieht. Kostengünstiger als die erstgenannten “Alternativen” ist das sicherlich, kostet jedoch immer noch recht viel. Das anfänglich angedachte “Anarchistische” Konzept der FDP, betroffene Banken und Staaten einfach pleite gehen zu lassen, fand nirgends ausreichend Unterstützung. Weder in Deutschland, noch in europäischen Partnerländern. Weitere nennenswerte Alternativen sind bisher nicht bekannt, weshalb auch die wesentlichen Teile der Opposition den bekannten Maßnahmen zustimmten.

Das ist ein Teil der derzeitigen Problemlage europäischer Ebene, soll aber an dieser Stelle nicht bewertet werden. Mindestens ebenso problematisch ist die Tatsache, dass die Ebene auf der das Geld weitergereicht wird, namentlich die Europäische Ebene, unter einem Legitimationsdefizit leidet.

Dieses ist demokratischer Art und betrifft vor allem die Europäische Regierung, die Kommission. Sie verfügt praktisch allein über das Initiativrecht, wird jedoch von den einzelnen Staatsregierungen “eingesetzt”. Von 27 Kommissaren ist also einer – indirekt – von der Bevölkerung Deutschlands gewählt worden, einer von der Bevölkerung Frankreichs, einer von der Bevölkerung Italiens, usw. – Die demokratische Legitimation der Gesamtkommission ist der Bevölkerung daher nur schwerlich vermittelbar. Anders ist dies beim Parlament, das von der Gesamtbevölkerung gewählt wurde. Dieses verfügt jedoch nicht über ein Initiativrecht, sondern kann höchstens ein Veto gegen Gesetzesinitiativen der Kommission einlegen.

Dieses Missverhältnis zwischen tatsächlicher Macht und tatsächlicher Bürgervertretung begründet die Legitimationskrise, in der sich die EU derzeit befindet. Sehr eindrucksvoll zeigte sich dies im Fall des ACTA-Abkommens, insbesondere, was den Entstehungsprozess angeht, der weithin als undemokratisch empfunden wird. Zwar führt die Kommission dieses Empfinden auf ein Kommunikationsdefizit zurück, das ist jedoch nur ein Teil des Problems. Mangelhafte mediale Kommunikation der europäischen Perspektive ist tatsächlich ein schwerwiegendes Problem. Problematisch ist jedoch auch die Struktur als solche, die immer wieder zu Hinterzimmerpolitik führen wird.

Ein perspektivenreicherer Ansatz für eine Lösung der diesbezüglichen Problematik findet sich bei ZEIT-Online. Unter der Überschrift “So geht’s nicht weiter, Europa!” findet sich ein Plädoyer für eine stärkere Demokratisierung der EU. Hierbei werden auch sehr bedenkenswerte Vorschläge geliefert:

Eine echte parlamentarische oder präsidentielle europäische Demokratie, mit einer gemeinsamen Regierung, einem europäischen Finanzminister, einem womöglich direkt gewählten Präsidenten, der die Mitglieder seines Kabinetts, der bisherigen EU-Kommission, selbst auswählt – nach Kompetenz und nicht mehr nach nationalem Proporz.

Ein machtvolleres Parlament aus direkt gewählten Abgeordneten, die selbst Gesetze einbringen dürfen, die die europäische Regierung bestätigen müssen und sie kontrollieren – in Kooperation mit den nationalen Parlamenten. Und eine zweite Kammer, ein gewählter Senat oder ein europäischer Bundesrat nach Vorbild des deutschen, in dem die Regierungschefs der Mitgliedsländer – der jetzige Europäische Rat – sitzen und mitbestimmen.

Mit europäischen Parteien, die sich zusammenschließen aus den bestehenden konservativen, sozialdemokratischen, liberalen, grünen und sonstigen Parteifamilien. Und mit einer sich herausbildenden europäischen Öffentlichkeit und europaweiten Medien in den verschiedenen Sprachen.

Eine Wirtschafts-, Haushalts-, Steuer- und Sozialunion, mit unterschiedlichen Ausprägungen wie in den deutschen Bundesländern, aber klaren Vorgaben und  vereinheitlichten Standards.

Und schließlich eine Haftungs- und Transferunion nach dem Muster des deutschen Finanzausgleichs. Auch dort leisten die Länder untereinander und der Bund den Notleidenden Hilfe. Aber nach Maßgabe übergreifender Regeln und mit dem erklärten Ziel, diese Hilfen irgendwann überflüssig zu machen – festgehalten schon jetzt im Fiskalpakt.

Ich stimme nicht mit allen Details der Vorschläge zu 100% überein. Sie sind jedoch etwas, worauf eine konkrete Perspektive aufgebaut werden kann. Eine Perspektive fehlt in der gesamten EU-Debatte völlig.


Ein paar Lesetipps…

Kreuzritter 2.0 – Im Netz der Islamfeinde

„Politically Incorrect“ – Parteien, Populisten, Publizisten

Herres Netzwerk – Auf Du und Du mit Europas Rechter

 

Eine Kurzzusammenfassung gibt es beim Politblogger.


Portrait eines Genres

Obgleich der Anlass traurig ist, ist es in der Sache notwendig:
In der taz findet sich ein gelungener Versuch, die Islamkritiker-Szene zu portraitieren und einzelne Strömungen voneinander zu differenzieren. Dies ist notwendig, um den Attentäters von Oslo nicht Denkströmungen zuzuordnen, von denen er im Kern sogar weit entfernt ist.

Einleitend geht es dabei um die plötzliche “Differenzitis” nach einem schweren Verbrechen, die da sagt, man solle die Tat eines politischen “Einzeltäters” nicht mit seinen politischen Ansichten und Loyalitäten in Verbindung bringen, sondern die Tat als die Tat eines einzelnen begreifen und rein psychologisch betrachten. Die Rede ist von den Reaktionen auf den politischen Mord an den niederländischen Regisseur Theo van Gogh im Jahre 2004.

Diese Einleitung ist deshalb wichtig, da sich nun eine sehr ähnliche Diskussion abspielt. Nur sind die Rollen heute andere. Seinerzeit wurden auf der einen Seite alle Muslime, der Islam als ganzes und die Einwanderung als solche für die Tat verantwortlich gemacht. Zugleich gab es – möglicherweise als Reaktion auf die Pauschalisierungen – Stimmen, die versuchten, die Tat vollständig aus dem politischen Kontext zu lösen, in dem sie entstand. Und es gab die wichtigen Grautöne dazwischen.

Und genau so ist es heute auch.

Es existieren sehr unterschiedliche Reaktionen von Seiten “der” Islamkritiker. Und das ist nachvollziehbar, denn “Islamkritik” existiert ja im Grunde nicht als einheitliches und definiertes Milieu mit einer klaren Parteipräferenz und Ideologie. Deniz Yücel versucht in seinem Artikel, Unterschiede zwischen einzelnen Strömungen zu beschreiben, und findet dabei heraus, dass diese unterschiedlichen Strömungen einerseits inkompatibel zueinander sind, dies jedoch in der Vergangenheit nur von wenigen klar und deutlich kommuniziert wurde.

Dies führte zu einer Form von Querfrontbestrebung, die Menschen aller ideologischen Lager unter einem Dach vereinen sollte. Das ist mittlerweile – zum Glück und hoffentlich dauerhaft – etwas anders.

Yücel legt hierbei dar:

Formuliert wurde die Islamkritik jedenfalls, bevor sie zum Volkssport im Internet wurde, vornehmlich von liberalen Intellektuellen, darunter vielen, die sich einst der (radikalen) Linken zugerechnet hatten und sich zuweilen immer noch als Linke verstanden
(…)
Eine deutsche Besonderheit war die linksradikale Islamkritik, wie sie von Vertretern der „antideutschen“ Strömung nach 9/11 oft unter Berufung auf die – von Breivik verhasste – Kritische Theorie in der Zeitschrift Bahamas und teilweise in der Wochenzeitung Jungle World(deren Redakteur der Autor dieser Zeilen von 2002 bis 2007 war) formuliert wurde. Einige aus diesem Spektrum wie der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel haben sich im Zuge der Islamkritik von marxistischem Gedankengut abgewandt, andere nicht.
(…)
Hinzu kamen Islamkritiker aus (rechts)konservativen oder christlichen Kreisen, wie der frühere FAZ-Redakteur, Buchautor und spätere Mitgründer des Vereins „Pax Europa“ Udo Ulfkotte in Deutschland oder der katholische Religionswissenschaftler und Betreiber des Blogs“Jihad Watch“ Robert Spencer in den USA.

Hinzu kamen schließlich Figuren vom rechten Rand wie der heutige FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache, die ihr altes Credo „Ausländer raus!“ durch „Moslems raus!“ ersetzten (und den Antisemitismus zurückstellten, weil sie nun in Israel einen Bündnispartner im Kampf gegen Islam erkannten.)

Es gibt heute also Kritik am Islam bzw. seinen radikalen Ausformungen von:

(ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
– Anhängern der kritisierten Religion
– Ex-Anhängern der kritisierten Religion
– Vertretern anderer Gruppen, die durch den Islamismus gefährdet sind
– Linksradikalen
– Liberalen
– Engagierten Atheisten
– Engagierten Anhängern anderer Religionen
– Rechtsradikalen

Diese Ausdifferenzierung ist keine Verharmlosung. Natürlich ist die Tat Breiviks eindeutig “islamkritisch” motiviert. Nichts anderes geht ihm durch den Kopf als “der Islam”(in demographischer Hinsicht). Und es täte allen Islamkritikern gut, sich nicht zu vorschnellen Abwehrreaktionen verleiten zu lassen, und insbesondere “Islamkritikern” täte es gut, einfach mal die Klappe zu halten.

Die Differenzierung ist notwendig, wenn man den Taten Breiviks wenigstens im Groben auf den Grund gehen möchte, und auch zur Ehrenrettung rationaler, humanistisch orientierter Kritik. Und das geht eben nicht, indem man sämtliche kritischen Äußerungen über einen Kamm schert und der Tat zuordnet(das tun auch nur sehr wenige). Das geht auch nicht, indem man sich einzelne prominente Autoren als Sündenbock herausfischt, um demonstrativ auf sie einzudreschen. Beides ist wenig sinnvoll und übertrieben. Letzteres sogar unverantwortlich. in mehrerlei Hinsicht. 1. Ist die Benennung irgendwelcher Namen im Zusammenhang mit solch großen Verbrechen unverantwortlich gefährlich und 2. Kann dies zum Einigelungseffekt führen, der jede Form der kritischen Selbstbetrachtung verunmöglicht.

Es kann also nicht um “alle” gehen, und auch nicht um ein, zwei oder drei Autoren. Es sollte darum gehen, die Geisteshaltung und –strömung zu verorten, auf der die tatsächlich existierende Form eliminatorischer “Kritik” gedeiht, die zuendegedacht auf die Verachtung menschlichen Lebens hinausläuft, die Breivik in die Praxis umgesetzt hat.

All die genannten Strömungen haben eigene Gründe für ihre Kritik. Man kann sie gutheißen, man kann sie ablehnen, aus welchen Gründen auch immer. Das ist kein Grund zum Handeln, sondern zunächst einer zum Reden. Wichtig ist, welche Gründe und Ziele Breivik für seine Tat hatte, und die sind mit kaum einer der genannten Strömungen vereinbar.

Breivik sieht sich selbst der letzten der oben genannten Strömungen zugehörig, der politischen rechten. Er bekennt sich zu sämtlichen völkisch-national bzw. ethnopluralistisch ausgerichteten Parteien in Europa, von FPÖ, über SVP, NPD bis hin zu Jobbik, und er argumentiert weitgehend in deren Sinne – entlang der kleinsten Schnittmenge all dieser Parteien: Anti-Einwanderung(am Islamthema festgemacht) und Anti-EU. Und in solchen Parteien bzw. in deren Umfeld herrscht ein überaus rauer Ton. An eine aus diesem Umfeld kommende kämpferische Rethorik, die bis hin zu Deportations- und Vernichtungsrethorik gegen “Fremde” und politisch andersdenkende reicht, hat man sich mittlerweile beinahe schon gewöhnt. Bis sie jemand beim Wort nahm.

Aber es ist nicht nur die aggressive Rhetorik, sondern auch der aggressive Inhalt, das Narrativ. Eine der Quellen, auf die sich Breivik bezieht, redet des Öfteren von einem “Bürgerkrieg”. Solche Bürgerkriegsphantasien gehören zu den genuinen Glaskugelprophezeiungen der “Neuen Rechten”. Ein solcher Bürgerkrieg sei natürlicherweise im Menschen angelegt und entfalte sich, sobald sich mehrere Ethnien in einem geographischen Gebiet aufhalten. In der Rechten wird ein solcher Krieg also geradezu herbeisehnt und herbeigeredet, und ihm solle sich am Ende auch “Europas Neuordnung” anschließen: Ein “Europa der Nationen”, fein säuberlich horizontal nach Stand sowie vertikal nach Ethnie sortiert. Dieser “Neuen Rechten” schwebt damit nichts anderes vor, als den NPD-Nazis. Die meinen im wesentlichen genau das selbe, nennen es jedoch “Rassenkrieg”.

An dieser Stelle gilt zudem festzuhalten: Die Rechte/Neurechte Verwendung des Begriffs “Islam” ist deckungsgleich mit der rechten Verwendung des Begriffs “Orientalisch/Asiatisch” – ersteres klingt jedoch nicht rassistisch und ist somit “politisch korrekt”. Daher wird die altrechte Argumentation als über diesen Weg gut im Mainstream platzierbar erachtet.

Diese Argumentation besteht in erster Linie aus der Kollektivstigmatisierung des “Fremden”(hier: des demographischen Islam). Diese Stigmatisierung geht auch ganz leicht, denn Argumente werden am laufenden Band geliefert: Themen der liberalen Kritik (z.B. am politischen Islamismus, am Jihadismus, am rechtskonservativen Patriarchat, etc.) werden hierbei durch die rechten ganz einfach dazu genutzt, um “den Orientalen an sich, wie er halt ist, bleibt und abzulehnen ist” zu beschreiben, und zwar in ständiger Wiederholung und mit ständigem Verweis auf eine vermeintliche “Täterschaft” der linken und liberalen (Damit sind auch friedliebende Christen und Juden gemeint) an der multiethnischen Realität. Das ist das inhaltliche Element des Rechtspopulismus. Auf diese Weise wird liberale Kritik zu rassistischer Stigmatisierung umfunktioniert – und es funktioniert. Ziel ist dabei nicht die kritische Reflexion seitens islamischer Verbände und Einzelpersonen(auch wenn sie bisweilen erfolgt), sondern Kollektivablehnung von Seiten der Mehrheit. Mehr nicht. Durch stete Wiederholung und Generalisierung von kollektiven Negativzuschreibungen soll eine gesellschaftliche Grundstimmung erreicht werden, die… STOPP!

Stopp. An dieser Stelle befindet sich die Gesellschaft gegenwärtig und sieht der Konsequenz ins Auge. Die Zukunft ist jedoch offen. Aber eines sollte nicht offen bleiben, und daran sollten alle menschenfreundlichen Kräfte mitarbeiten: Dass eine solche Tat nicht noch einmal geschieht.


Breivik und die „Propaganda der Tat“

In diesem Artikel von Alan Posener ist im Grunde alles wichtige dazu gesagt, wie die konkrete ideologische Einbettung des Terroristen von Oslo sinnvollerweise zu werten ist. Ein kurzer Auszug:

Um meinen Standpunkt anhand eines historischen Beispiels deutlicher zu machen: In meinem ersten Semester an der Universität lernte ich – flüchtig – Ulrike Meinhof kennen. Das war kurz vor ihrem Untertauchen.

Ich gewann damals den Eindruck, dass sie schwer gestört war. Und womöglich muss man, um das zu tun, was die RAF-Leute getan haben, sich in einem psychisch anormalen Zustand befinden.

Allerdings kamen die Gerichte in allen bundesdeutschen Terror-Verfahren zum Ergebnis, die Angeklagten seien durchaus schuldfähig. Und auch die bundesdeutsche Neue Linke betrachtete und betrachtet die RAF als Teil von sich; sei es, dass einige damals „klammheimliche Freude“ über die Morde der „Genossen der RAF“ empfanden, sei es, dass einige „Solidarität mit den politischen Gefangenen“ übten, sei es, dass viele heute im Rückblick erschauern, weil sie eben einen Zusammenhang zwischen radikalem Denken und radikalen Handlungen erkennen.

Ideen haben Konsequenzen. Worte haben Folgen. Wer diesen Zusammenhang nicht sehen will, gilt heute nicht einmal in linken Kreisen als wirklich ernst zu nehmen.

Und das gilt genauso auch für die rechten Kreise aller coleur. Sie (zumindest die intelligenteren unter ihnen) wissen sehr genau über die radikalisierende Wirkung des Wortes bescheid, und nutzen es auch bewusst in entsprechender Weise.

Wenn man die Terroristen der RAF ihrem ideologischen Umfeld zuordnen konnte, dann kann man dies mit Breivik erst recht. Mehr noch: Er selbst bezieht sich in seinem Manifest ganz konkret auf diejenigen Schriften, die ihn tatsächlich prägten und in seiner Haltung bestärkten. In so einigen davon finden sich klar umrissene Feindbilder.

Breivik hinterließ durch Tat und „Manifest“ bedeutende Hinweise. Hinweise darauf, in welchen konkreten Ideologischen Zusammenhängen seine Radikalisierung tatsächlich stattfand. Er brachte die Ideen lediglich zur Konsequenz. Und dass andere so denken wie er, davon kann man sich in dieser kleinen Sammlung überzeugen.


Oslo und die Medien. Was zum Lesen und Nachdenken

Eine interessante Leseperle vom Blog F!XMBR:

Oslo, Anders Behring Breivik und das Versagen der Medien

Die ersten drei Absätze als Auszug:

Wenn sich nach dem gestrigen Tag schon ein Fazit ziehen lässt, dann folgendes: Die Medien haben epochal versagt. Als am Nachmittag die ersten schrecklichen Meldungen aus Oslo veröffentlicht wurden, dauerte es nur wenige Minuten, bis Islamisten, sogar dem gesamten Islam, die Verantwortung zugeschoben wurde.

Jedes Medium, ob TV, Online oder Print, hatte sofort einen sogenannten Experten zur Hand — selbstverständlich trug der Bombenanschlag die Handschrift von Islamisten. Aus diesenVermutungen wurde nicht nur in den deutschen Medien, an vorderster Front trat die altehrwürdige New York Times in Erscheinung, schnell Gewissheit.

Ehrlich gesagt stehe ich ziemlich sprach– und fassungslos vor dem gestrigen Tag. Angesicht der schrecklichen Ereignisse, als auch den Medien gegenüber. Selbst als klar war, dass der Attentäter offensichtlich aus Norwegen kam, bis zur Stunde gilt er noch als Einzeltäter, schwadronierten die Medien noch über islamistischen Terror in Norwegen.

Auch der Rest ist unbedingt lesenswert. Also: Hier entlang.


Was zum Lesen, was zum hören…

Eine sehenswerte Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema Integration und Religion mit dem Titel: “… Religion muss Teil der Lösung sein!” – Hierbei geht es in erster Linie um die Selbstverortung der Linkspartei.

Christian Horbach hält in seiner Buchkritik die Thesen Abdel-Samads vom “Untergang der Islamischen Welt” für widerlegt.

Der Penzberger Imam Benjamin Idriz hat dazu aufgerufen, den Sinn des Korans in die heutige Sprache zu übertragen. Er diskutierte auf dem evangelischen Kirchentag in Dresden.

Die katholischen Bischofskonferenzen Europas veröffentlichten einen Abschlusstext zu einem Treffen mit dem Thema: “Islam in Europa”. Sie sprachen sich dabei unter anderem für die Errichtung islamisch-theologischer Lehrstühle an Universitäten sowie für islamischen Religionsunterricht an Schulen aus, und befassten sich mit dem Begriff “Islamophobie”. Dabei betonten sie, Begriffe wie “Angst” und “Fremdenfeindlichkeit” seien zur Phänomenbeschreibung geeigneter, und dass auch Muslime etwas tun könnten, um Vorurteile zu entkräften.


Warum man die FPÖ als Nazipartei bezeichnen muss

Wenn man schon auf Ebene der Partei- und Wahlprogramme den NS-Bezug der FPÖ nachvollziehen kann, dann ist dies selbstverständlich auch auf personeller Ebene möglich. Ein paar Links:

Es gibt beispielsweise eine interessante Recherche zu ideologischen Hintergründen einer FPÖ-Einladung zu einer sogenannten “Sonnwendfeier” von ganz oben.

Ein Streifzug durch Das “Gesichtsbuch” des “österreichischen Nationalen Widerstand”.
1. Die Freunde und Bekanntschaften von Susanne Winter
2. Manfred Pühringer

Und noch so ein “Zufall”:
FPK-Gemeinderat hat „Blut und Ehre“-Tätowierung auf Unterarm

Und noch einer(Königshofer) wurde wegen Nazi-Sympathien angezeigt. Die zugehörige Aktuelle Stunde bringt weiteres ans Licht.

Die Sprache der FPÖ(auch Königshofer):

Ich würde diesen Kanaken schnappen, in die marokkanische Botschaft in Wien bringen und verlangen, daß (sic!) er binnen 24 Stunden außer Landes gebracht wird. So muß (sic!) man mit diesem Gesindel verfahren!!!

Königshofer war bis 1988 Mitglied der wegen nationalsozialistischer Betätigung verbotenen NDP.

Noch ein paar Fälle

Dazu kommt auch regelmäßig Geschichtsfälschung.

Das sind nur ein paar wenige konkrete Beispiele. Letztlich zieht sich diese Denkart – mit Ausnahmen – durch die gesamte Parteistruktur der FPÖ, von oben bis unten.

Zu oft schimmert es durch, als dass man von “Zufällen” sprechen kann. Es hat Methode und ist die Regel. Die Selbstdarstellung der FPÖ nach Außen ist hierbei:

N-eu
A-nders
Z-ielstrebig
I-deenreich

So, wie es in der Nazi-Broschüre “Vom nationalen Widerstand zum nationalen Angriff” empfohlen wird.


Ist die FPÖ eigentlich “freiheitlich”?

Die FPÖ hat seit etwa 1993 keinen liberalen Flügel mehr. Bei dieser Partei ist der Freiheitsbegriff daher zu Makulatur geworden. Mehr dazu hier(PDF)

Bei der FPÖ spricht man im Parteiprogramm zwar viel von individueller Freiheit. „Frei“ im Sinne der FPÖ ist ein Individuum jedoch erst dann, wenn es sich der „abendländischen Kultur“ unterordnet und sich durch sie definiert, sich also ins Kollektiv einfügt und angepasst verhält.

In der Praxis vertritt die FPÖ eine vordergründig „weiche“ Form völkischer Anschauung(das hat nichts mit Patriotismus o.ä. zu tun, sondern ist völkischer Nationalismus), den Ethnopluralismus. Am Beispiel der Region Alto Adige in Italien leicht zu erkennen. Dort ist ein großer Teil der Bevölkerung Deutschsprachig. Perspektivisch strebt die FPÖ daher einen DeFacto-Anschluss dieser Region an Österreich an (So wie die NPD gerne Österreich an Deutschland anschließen möchte).

In einer Handreichung des FPÖ-Bildungsinstituts ist zu lesen: „Wir bekennen uns (…) zur deutschen Volksgemeinschaft
(Der Link ist von mir)

Konkret sagt die FPÖ im Parteiprogramm:

„Der Heimatbegriff wird in räumlicher, ethnischer und kultureller Hinsicht definiert“

Oder anders: Jeder Ethnie ihren eigenen Lebensraum. Das ist Ethnopluralismus.

Aus diesem Grunde ist die FPÖ übrigens auch nicht wirklich als Islamfeindlich einzustufen. Sie liegt diesbezüglich ideologisch im Gleichschritt mit der NPD. Aus den Reihen der FPÖ wurde beispielsweise, angesprochen auf einen FPÖ-Besuch beim Ahmadinejad-Regime und dem Widerspruch zu den islamfeindlichen Thesen der FPÖ, ausdrücklich betont, dass der Islam im Iran überhaupt kein Problem darstelle. Die NPD drückt es etwas anders aus: „Wir lieben das Fremde – in der Fremde“. An anderer Stelle meinte Strache selbst, er habe nichts gegen Türken – in der Türkei. Kurzum bedeutet dies: Für beide ist nicht der Glaube am Islam oder religiöser Extremismus das Problem, so wie sie es vordergründig darstellen, sondern die schiere Anwesenheit von Moslems in Europa, und zwar allein deshalb, weil sie mehrheitlich vom Orient oder Afrika abstammen.

An anderer Stelle hebt die FPÖ den „großen Anteil“ des alten Österreich an der gesamtdeutschen Geschichte als etwas hervor, worauf man stolz sein könne. Das riecht nicht gut. Aber es ist eben auch ein Trick der FPÖ, Formulierungen mehrdeutig zu wählen.

Bezüglich Marktwirtschaft und Kapitalismus steht einiges im Parteiprogramm, vieles davon verschwurbelt. Teilweise gibt sich die FPÖ tatsächlich wirtschaftsfreundlich.

Da ist nur ein Problem: Die FPÖ ist zugleich antikapitalistisch, richtet sich also im Grunde gegen das freie Wirtschaften.

“schrankenlosen Kapitalismus, der Mensch und Natur ausbeutet” steht im Parteiprogramm. „hedonistischer Konsumismus“ und „aggressiver Kapitalismus“ bedrohe zudem das Abendland. Den Antiklerikalismus, der sich durch den Liberalismus entwickelte, lehnt die FPÖ übrigens ab.

Eine Skepsis gegenüber Banken(Kapital) zieht sich durch alle Ebenen der FPÖ. Dort, wo Kontakt zwischen Bank und Politik besteht, aber ganz besonders dort, wo es international zugeht.

Das ist der „Antikapitalismus von Rechts„, der das „Schaffende“ dem „Raffenden“ Kapital gegenübersetzt, bzw. das “Nationale” dem “Internationalen” – und eine nationale Unabhängigkeit auf wirtschaftlicher Ebene einfordert. Bei der der NPD heißt das: „Raumorientierte Volkswirtschaft„. Die FPÖ grenzt sich lediglich rhetorisch von der NPD ab, nicht inhaltlich.

Nehmen wir ein anderes Thema. In der bereits genannten Broschüre des FPÖ-Bildungsinstituts wird auch das Thema Umweltschutz behandelt: „Umweltschutz ist Heimatschutz“ steht da. Was das bedeuten soll, steht im folgenden Punkt: „Österreich ist nicht frei“. Gemeint ist hierbei die nationale Autarkie. Spezifiziert wird dies folgendermaßen:

„(…)ausschließlich heimische, regenerative Energiequellen(…) Wir sollten die Abhängigkeit von ausländischen Staatschefs und die Erpressbarkeit durch Großkonzerne ein für allemal beenden.“

Da ist er wieder: Der Wunsch nach nationaler Autarkie, wie er dem rechten Antikapitalismus eigen ist.

„Umweltschutz ist Heimatschutz“. Eine Parole, die außer bei der FPÖ nur noch bei den militanten Neonazis vorkommt.

Und auch bei der FPÖ ist in diesem Zusammenhang struktureller Antisemitismus zu finden:

So steht im selben Argumentationsleitfaden die Verschwörungstheorie:

„dass es sich um eine künstlich erzeugte Klimakrise handelt, die von den selben Personen und Kreisen und Oligarchien erzeugt und instrumentalisiert wird, die in den letzten Jahren den Preis von Öl und anderen Rohstoffen in die Höhe getrieben haben. Der tatsächliche Hintergrund, die Weltbevölkerung durch eine neue Finanzblase zu plündern, bleibt dabei im Verborgenen.“

Desweiteren findet sich die Forderung einer Agrarpolitik, die sich am nationalsozialistischen „Blut und Boden“-Prinzip orientiert.

In der Gesamtheit sieht man: das „Grüne“ der Blauen ist Braun, was dann zu lustigen Forderungen wie „Österreichisches Wasser den Österreichern“ führt.

Und so weiter und so fort. Ausländer möchte die FPÖ ganz nebenbei allesamt aus dem Sozialversicherungssystem ausgliedern, ebenso wie die NPD es will.

All diese Dinge stehen bei der FPÖ jedoch im „Kleingedruckten“. Der gemeine Wähler bekommt davon wenig mit. Die bekennenden Nazis wissen jedoch darum, dass es „ihre“ Partei ist, und daher wählen sie die FPÖ.

Der große Unterschied zur NPD ist der, dass sich die FPÖ geschickter anstellt, sagte mir einmal ein Strache-Fan.

Es ließen sich auch noch massenweise skurrile Begründungen für Forderungen nennen, Beispielsweise zum Binnen-I. Für Rechtsparteien ist dies der Ausdruck des nicht nur verhassten, sondern dämonisierten Feminismus. Anders bei der FPÖ: Sie begründet ihre Ablehnung des Binnen-I eher damit, dass Textverarbeitungen dies als Fehler anzeigen und dass Braille-Zellen Probleme damit hätten. Folgerichtig ist die Abschaffung des Binnen-I bei der FPÖ eine Forderung nach Behindertenrechten. Vielleicht erstelle ich bei Zeiten mal eine Top10 solcher Skurrilitäten. 😉

Ebenso wie Pro-NRW hat die FPÖ ihre Wurzeln im NS-Bereich, was sich natürlich auch in der vertretenen Ideologie spiegelt – bei der FPÖ ist der direkte Bezug jedoch einige Jahrzehnte länger her, daher ist dieser Umstand einem Teil der politisch eher desinteressierten Bevölkerung ebensowenig bekannt, wie die Ideologie.

Zwischen deutschen und Österreichischen Rechten gibt es allerdings inhaltlich keine substanziell trennenden Unterschiede. Sie fühlen sich beide der „Deutschen Nation“ verpflichtet, definieren sie auch auf gleiche Weise – halten sich also für eine gemeinsame „Schicksalsgemeinschaft“ eines größeren Ganzen.

Hierbei muss man allerdings anmerken, dass die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Westdeutschland eine völlig andere war, als in Österreich. Letztere ähnelt eher der Aufarbeitung, wie sie in der DDR geschah: „Wir waren Opfer. Die anderen waren die Täter.“ Unter anderem Daraus resultieren dann auch völlig andere Selbstverständlichkeiten, was das Verhältnis der Allgemeinheit zum Nationalismus angeht. Das „Konzept FPÖ“ ist daher nicht auf Deutschland übertragbar, so wie es “Pro” derzeit nachzuahmen versucht. Denn der Freiheitsbegriff, den die FPÖ z.Zt. für Österreich fremdbesetzt, ist in D bereits umfassend in der Parteienlandschaft abgebildet, und zwar ziemlich ausdifferenziert und kaum kompatibel zu dem, was die FPÖ aus diesem Begriff macht. Wirtschaftsliberalismus in stark ausgeprägter Form ist bei der FDP zu finden, mit sozialer Verantwortung verbunden bei CDU und SPD. Die CDU hat neben einem rechtskonservativen einen liberalkonservativen Flügel, Sozialliberale Strömungen existieren in unterschiedlichen Abstufungen von Linkspartei bis SPD, und auch in der FDP finden sich Ansätze davon. Der Brennpunkt findet sich hierbei aber wohl bei den Grünen. Auch die Piratenpartei sollte nicht unerwähnt bleiben, sowie der libertäre Sozialismus.

Die Mimikry-Rechten werden in Deutschland also irgendeinen anderen politischen Bereich suchen müssen, der für sich genommen NS-unverdächtig und politisch nicht abgedeckt ist, und eine dazu passende Sprachregelung entwickeln, in die der völkische Nationalismus eingewickelt wird, ähnlich wie es die FPÖ mit dem Begriff „Freiheit“ macht. Mit diesem Ansatz werden sie versuchen, ein „neues Lager“ zu bilden. Es ist glücklicherweise äußerst fraglich, ob dies jemals funktionieren wird.

Siehe auch:
Die Vergangenheitsbewältigung


Interview über den Verfassungsstreich der FIDESZ

Hier das Interview mit der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovsky über die Verfassung und deren Lesbarkeit:

Direktlink MP3, Quelle

Siehe auch:
Beiträge auf diesem Blog

Welt.de: Opposition bezeichnet neue Verfassung als Diktatur
Zeit.de: Schnell, jetzt zustimmen!
Pester Lloyd: Konstitutionelle Selbstgespräche


Ein paar Auszüge aus der neuen FES-Studie

Mindestens ebenso interessant wie einzelne Zahlen der Studie “Die Abwertung der Anderen – Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung” sind die Erläuterungen. Hier also ein paar Auszüge(Einschübe und Kürzungen sind kursiv gekennzeichnet).

Erstmal der Link zur Studierie(PDF)

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