Integration – Was man tun kann, was man wissen sollte

Repost eines Foreneintrags, mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Eintrag ist von 2005, es kann sich seitdem also einiges, zum Beispiel an der Programmatik des einen oder anderen Verbands, geändert haben. Zu einigen Organisationen fehlen auch noch Infos. Entsprechendes bitte ich, nach Möglichkeit im Kommentarbereich richtigzustellen bzw. zu ergänzen (am besten mit einem Beleg/Link), und auch die Ergänzungen im dortigen Thread zu beachten. Die Anregungen selbst haben jedoch bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.

Here we go… Die Einleitung bezieht sich auf das dortige Forum.

Keine Angst vor dem Moslem: flamereduzierter Themenworkshop

So, um mal ein wenig konstruktiv zu werden. Ich wollt mich zu dem Thema nicht mehr aeussern, die Debatten sind einfach zu schwer von Idioten und Scharfmachern heimgesucht, und diese bitte ich auch, sich in den Threads nebenan auszutoben, hier mag ich einfach mal ein wenig vorstellen, was man alles so machen kann, wenn man kein Interesse am grossen Kulturenkampf und vielleicht sogar eine am friedlichen Mit- und Nebeneinander hat (letzteres stoert mich, nebenbei, nicht im geringsten).
Ich hab mir jetzt ein wenig Muehe gemacht und mal laengers ein wenig Infos zusammengeschrieben, es wuerd mich freuen, wenn sich meine Nachposter die Muehe machen und die Geschichte hier ein wenig konstruktiv betrachten, sich vielleicht die Muehe machen, auch mal nen laengeren Text zu lesen (ich hoffe, er blieb einigermassen lesbar und strukturiert, ich habs versucht) und die Streitereien in den Threads nebenan austraen, sollte das weiter gewuenscht sein.

Kurz einige eigene Erfahrungen:
Ich bin jobbedingt grade viel in tuerkischen/islamischen/nichtdeutschen Institutionen unterwegs. Es mag an meiner charismatischen Ausstrahlung liegen, aber ich wurde regelmaessig sehr freundlich aufgenommen. Die Reaktionen waren ueberwiegend erfreutes Interesse, dass man was erfahren wollte und sich interessierte. Austausch gab es in den meisten Einrichtungen, in denen ich war, wenn bisweilen auch wirklich nur noch sporadisch – zumeist aus Desinteresse der Mehrheitsgesellschaft haben sich einige Gruppen aus Stadtteilveranstaltungen, Infoveranstaltungen usw. rausgezogen.
Nebenbei – es wurde mir durch die Blume schon vorgeworfen, dass ich grade mit meinem ach-so-wichtig-sein in dieser Beziehung angebe. Wen es stoert, dass ich auf einigen Veranstaltungen zum Thema eingeladen war, mag die naexxten Saetze ueberlesen. Den anderen will ich nicht vorenthalten, wie erstaunlich haeufig sich zu den Themen eine deutsche Runde trifft, die deutsche Experten einlaedt, um mit ihnen ueber die Auslaender zu reden. Bestenfalls hat man einen hoch"integrierten", Quotentuerken dabei, siehe Oeger oder Oezdemir, die mir ansonsten sehr sympathisch sind.
Provokante These: Nicht die Auslaender, die *Deutschen* grenzen sich ab, sind fremdenfeindlich oder zumindest an Integration in Form eines wie auch immer gearteten Miteinander absolut nicht interessiert.
Ich hab in meinem Herkunftskuhkaff mehr aus Jux mal die Moschee besucht, ein wenig ueber meine Arbeit gesprochen, geendet hat das Ganze damit, dass der Vereinsvorstand mit mir und einem weiteren (deutschen) Verein zum ersten Mal eine Diskussionsveranstaltung macht. Sie machen regelmaessig ihren Tag der offenen Moschee, da kaemen schon auch Leute, aber die probieren dann eben den Boerek und die Yaylasuppe, und dann gehen sie halt wieder und das wars dann.

Anregungen
Man kann ruhig mal in einen Moscheeverein gehen. Vielleicht nicht grade Freitags, aber sonst, einfach mal vorbeigucken, neben den eigentlichen Gebetsraeumen gibt es ja meist noch Cafe, Aufenthaltsraum usw. Man kann die Leute fragen, wie so der Kontakt zum Umfeld ist, wer sich fuer sie interessiert, was sie alles machen und anbieten. Glaubt mir oder nicht: es wird einem freundlich geantwortet, wenn es nicht grade wirklich andere wichtige Dinge zu tun gibt, selbst dann kann man sich problemlos auf spaeter verabreden.
Man kann darueberhinaus, wenn man noch ein paar Leute in der Hinterhand hat, mit den Leuten was organisieren. Sich mit mehreren austauschen. Als Partner bieten sich durchaus die Kirchen an – fragt mal bei der oertlichen kirchlichen Jugend an, ob die was gemeinsam mit einer Moschee ausdenken koennten. Ich kenne mehrere Moscheevereine, die vor allem Rueckhalt bei den christlichen Kirchen haben, waehrend der Gemeinderat desinteressiert ist. Grade kirchliche Partner haben auch die Erfahrungen/Raeumlichkeiten etc., um sowas mit zu organisieren und ziehen durchaus auch Publikum.
Bei Desinteresse lohnt sich das Nachfragen, an was es liegt. Viele haben so was naemlich auch selber schon auf die Beine stellen wollen und es hat sich schlicht kein Schwein interessiert bzw. an der Ausgrenzung hat sich nichts geaendert. In Deutschland haben die deutschstaemmigen Menschen naemlich durchaus eine Tendenz, lieber *ueber* als *mit* anderen zu reden. Die Beteiligung dieser *anderen* ist oftmals stoerend, denn dann muss man eigene Ansichten hinterfragen.
Wenn man nicht recht fit ist, wuerde ich generell zu einer DITIB – Moschee raten, VIKZ und Nurcu kann ich nicht beurteilen, ATIB kann sehr interessant sein, wenn man sich drauf einlassen will und Milli Görüs hat in meinen Augen ohnehin zuviele Plattformen und Aufmerksamkeit, die werden bisweilen zu Veranstaltungen als Islamvertreter eingeladen, die es eigentlich besser wissen muessten. Naeheres siehe unten.

Was man wissen sollte
Es gibt bekanntlich mehrere Dachverbaende der Muslime in Deutschland. Die sich nicht unbedingt gruen sind und wo einiges wissenswert ist. Ich kenn leider nur die meisten tuerkischen, arabische/aegyptische Geschichten nicht.
Was man vor den folgenden Kurzbeschreibungen nicht vergessen sollte: egal, was fuer einem Dachverband eine Moschee angehoert – es gibt im Islam keine "Konfessionen" nach christlicher Manier. Jeder Muslim kann in jede Moschee, bzw. jeder muss halt in die, die eben da ist, wenn er in eine will. Vom Dachverband auf die Gesinnung aller (oder auch des groesseren teils der) Besucher schliessen zu wollen, geht mit Regelmaessigkeit daneben. Ich hab hier grade eine Reihe von Literatur ueber die verschiedenen Dachverbaende stehen, die hat in weiten Teilen nicht ich, sondern meine Frau gelesen, die mich grade auch korrigiert: die ATIB sei eine Abspaltung der ADTÜF und stärker deutschlandorientiert, aber wie gesagt, ich will mal einen groben Blick geben, es wird auch so lang genug.
Die Literatur hat sich groesstenteils eben mit der Programmatik der Dachverbaende beschaeftigt und sich das Besuchen der realen Moscheen weitgeend erspart. entsprechend herrscht hier ein Stueck weit geistige Inzucht, die dazu fuehrt, das die Dachverbaende bisweilen die Debatte beherrscen und die reale Situation in den Moscheen – wo die Leute halt hinkommen, beten und sich treffen, und dann ist auch gut und die Programmatik interessiert eher wenig – wird, wie meistens, ignoriert.

DITIB
DITIB ist der inzwischen groesste Verband. Er ist dem tuerkischen Amt fuer Religionsangelegenheiten unterstellt, was viele als Problem sehen: Stichwort "die werden alle aus Ankara ferngesteuert".
Faktisch sieht es so aus, dass die angegliederten Vereine zwar eine Satzung von DITIB mit uebernehmen, ansonsten es weitgehend ihnen ueberlassen bleibt, wie sehr sie sich ans DITIB anhaengen. Mein Eindruck ist eher der, dass sich Moscheevereine dem DITIB anschliessen, um geschützt davor zu sein, von anderen Gruppen unterlaufen und uebernommen zu werden.
Der tuerkische Staat ist bekanntermassen laizistisch. Das heisst im konkreten Fall aber nicht, dass Staat und Religion getrennt sind, sondern dass der (tuerkische) Staat die Religion mitverwaltet und kontrolliert. Von daher ist eine DITIB – Mitgliedschaft eine prima Absicherung dagegen, dass man von Gruppen unterwandert wird, die Gottesstaatsideen anhaengen. Selber ist mir DITIB am "sympathischsten".
Die beklagte Praxis, Imame kaemen ohne Deutschkenntnisse nach .de und predigen hier, ist bei DITIB natuerlich gegeben – wer dort predigt, ist ein in der Tuerkei ausgebildeter und von der Tuerkei abgesegneter Imam. Der *sicher* nicht die Trennung zwischen Staat und Kirche aufheben will, die Demokratie ablehnt oder die Tuerkei oder einen anderen Staat zu einem islamischen Staat machen will, denn sonst kriegt er von DITIB aufs Dach. Auf der anderen Seite mag man sich ueber die Haltung der DITIB zur nationalistischen Politik der Tuerkei, besonders in Bezug auf die Kurdenproblematik, natuerlich streiten.
Infos:
http://www.diyanet.org/

IGMG
Die Internationale Gemeinschaft Milli Görüs (="nationale Sicht") halte ich fuer problematischer. Die IGMG hat sich von ihren "Gottesstaats"-Forderungen weitgehend verabschiedet und predigt einen durchaus traditionellen Islam, will sich aber als demokratisch verstanden wissen und wehrt sich regelmaessig gegen ihre VS – Beobachtung. Mir sind sie suspekt, IGMG hat *sehr* viel Geld zur Verfuegung (das Vermoegen in Europa wird im Milliardenbereich geschaetzt) und mein Eindruck ist der einer eher vordergruendigen Anpassung. Schaerfere Kritik wird mittels Klagen und Prozessen (zumindest finanziell) behindert. Wer sich ein wenig schlau machen will,
www.aypa.net, der kleinste Fernsehsender Deutschlands befasst sich immer wieder mit dem Thema.
Wo Milli Görüs ausbilden laesst, will mir grade nicht einfallen.
Milli Görüs wird in meinen Augen zu Recht beobachtet, es mag aber drauf hingewiesen sein, dass sich die Kaplan – Gemeinde von der damaligen IGMG – Vorlaeuferorga abgespalten hat, weil sie ihm eben zu westlich, zu demokratisch und zu uninteressiert an der Schaffung eines islamischen Staats war.
Webseite:
www.igmg.de

VIKZ
Der Verein der Islamischen Kulturzentren haengt einer mystischen Islamtradition an. Mir kommen sie eher staatsfern als staatsablehnend vor. Ich war noch bei keinem VIKZ – Verein, sie haben bei anderen Verbaenden keinen guten Ruf, was im Fall von IGMG imo eher eine Auszeichnung ist.
www.vikz.de ist an sich eine sympathische Seite. Der VIKZ bildet seine Imame hier in Deutschland selbst aus. Politisch steht der VIKZ eher rechts.

ATIB / ADÜTDF
Die Grauen Wölfe sind die deutsche Organisation der türkischen Faschisten der MHP. Leitidee war zunaechst ein eher areligioeser Ultranationalismus, nach einiger zeit kristallisierte sich die Idee der "Türkisch-Islamischen Synthese" aus, nach der zum Türkentum das Moslemsein eben konstitutiv dazugehoert, der Glaube ein weiterer Aspekt des Nationalismus ist. Ihr Einfluss ging ab Mitte der 90er zurueck, sie betreiben immer noch eine größere Anzahl von Gemeinden. Die Radikalität ist meines Erachtens nach zurückgegangen, man mag mich als durchaus eher links kennen, aber ich hab mit einer Reihe von Grauen Woelfen geredet – es ist spassig zu sehen, dass ausgerechnet die tuerkischen Faschos die Musterbeispiele der CDU-Vorstellung von Integration sind. Es mag eine Sache bei den Nazis sein, die Toitschen Sekundaertugenden zu pflegen, bei der ATIB sieht das so aus, dass von den Leuten gefordert wird, dass sie
a) Deutsch lernen
b) fleissig arbeiten
c) gute Schulabschluesse machen und
d) sich ordentlich benehmen muessen, nicht randalieren, keine Drogen, kein Alk
und das alles, um
e) der Tuerkei keine Schande zu machen.
Das Frauenbild der ATIB ist nun, "traditionell", ich finds eher arg traurig, und ich vermute, Stoiber wuerde eine Erektion davon bekommen. Von daher halte ich die ATIB persoenlich die mir am unsympathischste Gruppierung, auf der anderen Seite halte ich sie fuer hervorragend integriert, weil deutscher als manche Deutschen und potentielle bzw. reale CDU-Stammwaehler.

Nurcu
Die Nurculuk sind Anhaenger der Lehre des Said Nursi, ich weiss wenig drueber, ausser, dass das Ziel die Schaffung eines "modernen" und "wissenschaftlichen" Islam ist. So die Synthese zwischen westlicher Wissenschaft und Islam, was mich irgendwie an Christian Science erinnert und mir naturgemaess unsympathisch ist. Mehr hab ich da an Infos nicht parat.
Wie gesagt – von der Verbandsprogrammatik auf die Haltung der Leute vor Ort zu schliessen, ist regelmaessig ohne Erfolg. Hingehen und fragen ist bisweilen da sehr spannend.
So, ein paar abschliessende Worte zur

Kultur in Deutschland
Ich weiss nicht genau, was "deutsche Kultur" sein soll. Ich kann einen Weinberg pflegen (was aus Zeitmangel nicht mehr geht) und eine Obstanlage, ich habe das vage Gefuehl eines Verlusts an Kultur, wenn diese Faehigkeiten verloren gehen sollten. Bisher kam noch kein Tuerke und schlug mir den Schaedel ein, wenn ich meine Kultur diesbezueglich pflegen wollte. was ich damit sagen will, Kultur brauch ich gar nicht naeher definieren, das macht jeder eh fuer sich und sie zu *pflegen*, legt im persoenlichen Ermessen des Einzelnen. Dafuer muss man selten was tun, und man wird vor allem *selten gehindert*. Wenn ich Kultur erhalten will, dann benoetigt das meine persoenliche Anstrengung (oder auch meinen persoenlichen Spass dran) und dann ergibt sich die von alleine.
Was deutsche Kultur ist, weiss ich wie gesagt, nicht, aber ich bin mir sicher, Moscheen gehoeren eindeutig dazu. Wie der Döner dazugehoert und der Joeys – Pizzabringdienst, wie die Jeans, die Maultaschen, die Nebenerwerbslandwirtschaft und die Fachwerkhaeuser und die Ortskernsanierung. Deutsche Kultur ist auch Herrengedeck (wers nicht weiss: ein Bier und ein Korn) und Apfeltee, und es stoert mich nciht im Geringsten, das das eine tendenziell eher von deutschstaemmigen, christlich gepraegten Menschen in der Kneipe gekippt und das andere eher von tuerkischstaemmigen, eher muslimische Leuten im tuerkischen Cafe getrunken wird. Dass die dazu an sepoerate Orte gehen, halte ich fuer eine sehr gute und begruessenswerte Sache, und auch das ist deutsche Kultur, denn so wird es in Deutschland praktiziert und kann es in Deuschland problemlos funktionieren. Ich fuerchte zu guter Letzt, sogar Daimler hat was mit deutscher Kultur zu tun, obwohl die in der Tuerkei LKWs bauen. Der Islam gehoert zur deutschen kultur wie die christlichen Kirchen, weil es eine lebendige Geschichte deutscher Muslime und deutscher Christen gibt.
Das Umbringen Andersdenkender ist auch ein Stueck deutsche Kultur, auf dieses kann ich und wohl der Grossteil der Leute herzlich gern verzichten, und da muss man dagegen vorgehen, und niemand wird das ernsthaft in Frage stellen.

Was wir brauchen
Eine Annaeherung zwischen muslimischen und christlichen und nicht religioesen Menschen in Deutschland. Dazu tragen aber keine Scharfmacher a la Schoenbohm bei oder Idioten, die Ziegenficker schreien, wenn sie einen Schnauzbart sehen. Dafuer braucht es mehr Interesse vor allem auf der *deutschen* Seite, gerade zu der ueberwiegenden Mehrheit der muslimischen Menschen zu gehen und da endlich mal klar zu machen, dass sie verdammt auch hier her gehoeren. Denn, wie gesagt, meine Beobachtung ist die, dass das Gros der Leute nichts gegen Deutsche hat, im Gegenteil, aber das Desinteresse der Deutschen geradezu erschreckend ist. Es waere weniger erschreckend, wenn die ganze Thematik "Muslime in Deutschland" (oder besser noch, "Deutsche Muslime") nicht dermassen erbittert gefuehrt werden wuerde: vorrangig von Menschen, die wie gesagt nicht einmal eine Moschee von innen gesehen haben oder um die Probleme und Sorgen der Menschen vor Ort wissen. Ich bin der Ansicht, dass es in Deutschland *keine* Parallelgesellschaften gibt. Praktisch alles ist offen und zugaenglich, und in der regel waeren Deutsche voellig willkommen. Es geht bloss keiner hin. Und das ist ein problem der deutschstaemmien Bevoelkerung. Dazu, was man dagegen unternehmen kann, hab ich am Anfang des Texts mal ein wenig Anregungen geschrieben, ich hoff, man hat auch ein wenig Info und quasi "Handwerkszeug" in die hand bekommen, und ich setz das hier gerne fort, da gaebe es noch ein paar Sachen zu sagen, es gibt durchaus neben der aktuellen Hysterie *echte* Probleme, aber ich bin grade zeitlich wirklich etwas eingespannt und wenn man konstruktiv was machen will, muss man eben auch ein wenig Zeit investieren.

Auch hier gilt: Das Lektorat ist vorerst auf unbestimmte Zeit in den Betriebsferien 🙂


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