Sarrazin hat ein Ungeheuer geschaffen

Wo der Schweinehund knurrt

Thilo Sarrazin hat ein Ungeheuer geschaffen, Medien haben es freigesetzt, Politiker gefüttert. Die INTEGRATIONSDEBATTE hat bislang nur Schaden angerichtet, aber nicht weitergeführt. Eine persönliche Zwischenbilanz

Der Zwischenruf aus Berlin von HANS-ULRICH JÖRGES

Zwei Monate haben das Land verändert. Zwei Monate Sarrazin-Debatte — und die sogenannte Integra­tionsdebatte war nichts anderes als das, ohne am Ende noch seinen Namen öffentlich zu erwähnen — haben ein Deutschland offenbart, das ich nicht mehr für möglich gehalten hätte. In diesen zwei Monaten seit dem Erscheinen des Sarrazin’schen Bestsellers wurde — quer durch die Gesellschaft, auch in gebildeten, bürgerlichen Kreisen — eine Migranten- und Islamfeindlichkeit aufgedeckt, die erschrecken lässt. Die Integrationsdebatte wurde darüber, in ihren hysterischen Entgleisungen, zur kaum noch kaschierten, primitiven Ausländer‑raus-Kampagne. Sie hat Ressentiments freigelegt, verfestigt und verbreitet, die lange nachwirken werden.

Fast 60 Prozent der Deutschen, enthüllte eine Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung, verlangen, dass die (grundgesetzlich garantierte!) Religionsausübung für Muslime „erheblich eingeschränkt" wird. Niemals seit der Judenverfolgung wurden Menschen in Deutschland so pauschal, so grobschlächtig und so verletzend ausschließlich nach ihrem Glauben beurteilt und herabgewürdigt.

Mir ist darüber speiübel geworden. Was haben der Bäcker aus der Türkei, der Arzt aus dem Iran und der Ingenieur aus Ägypten in Wahrheit miteinander gemeinsam? Den Glauben? Wissen wir nicht, dass Muslime hierzulande ähnlich säkularisiert leben, kaum häufiger in die Moschee gehen als Christen sonntags in ihre Kirche? Was würden Christen dazu sagen, wenn sie in arabischen Ländern an Wort und Tat des Papstes gemessen, nach dem Dogma der Jungfrauengeburt und dem himmelschreienden Skandal des sexuellen Missbrauchs von Kindern in katholischen Einrichtungen beurteilt würden? Dür­fen die unbezweifelbaren Missstände in Neu‑kölln-Nord zum Maßstab des Integrationserfolgs in ganz Deutschland werden?

Ach ja, die Scharia, das islamische Straf­recht mit Handabhacken und Steinigen … Schrill beschrien in dieser sogenannten Debatte. Will die Scharia jemand in Deutschland einführen? Übrigens: Sie gilt auch in der Türkei nicht. Das erste türkische Strafgesetzbuch wurde 1926 (!) vom italienischen Strafgesetzbuch abgeschrieben, das damals als besonders modern galt. Das im selben Jahr in Kraft gesetzte Zivilgesetzbuch war eine Übersetzung des schweizerischen. Braucht man das nicht zu wissen?

Was ist gut integrierten „Muslimen" mit gedankenlosem, rabiatem Geschwätz angetan worden! Ein Berliner Freund, in Afghanistan geboren, Akademiker, mit deutscher Frau und Kind, perfekt integriert und akzentfrei deutsch sprechend, war so verzweifelt über die Ablehnung, die ihm nun entgegenschlug, dass er Pläne zum Bau eines Hauses infrage stellte — und darüber nachdachte, das Land zu verlassen.

Sarrazin hat ein Ungeheuer geschaffen. Und die Medien haben es freigesetzt, unter der Flagge der Diskussion. Fernseh-Talkshows hören genau, wo der deutsche Schweinehund knurrt — manche haben ihm fleißig Knochen hingeworfen, damit er Quote kackt. Die feine „FAZ" gebärdete sich knarzend reak­tionär wie ein Soldatenstiefel. „Wulff, der Christ, kämpft für den Islam. Ganz so wie Erdogan", kommentierte sie die Integrationsrede des Bundespräsidenten vom 3. Oktober. Als Wulff vor dem türkischen Parlament spiegelbildlich Religionsfreiheit für Christen eingefordert hatte, bemängelte sie, dass „derjenige, der die Ketten endgültig sprengte" auch darin nicht vorgekommen sei. Sarrazin, der die Erbdummheit der Muslime propagiert, wäre als Freiheitsheld vor dem türkischen Parlament zu loben? Das ist intellektuelle Heimtücke.

Unter der Überschrift „Integration heißt nicht, ein Volk‘ zu sein", rief Helga Hirsch bei „Welt online" Wulff hinterher: „Wer Türken, Polen, Russen, Juden, Iraker, Italiener, Deutsche zu einem Volk erklärt, weil sie deutsche Staatsbürger sind, verkleistert gerade das, was uns augenblicklich so viele Probleme bereitet…" Unfassbar: Juden als Fremde ausgegrenzt! Erst ein kritischer Hinweis von außen führte dazu, dass die Redaktion die Juden aus dem Text strich, gerade rechtzeitig vor der Ver­öffentlichung auch in der gedruckten „Welt". Helga Hirsch übrigens war rechte Hand Joachim Gaucks bei dessen Präsidentschaftskampagne und Co-Autorin seiner Memoiren.

Den Verstand verloren hat zu Teilen auch die Politik. Kristina Schröder etwa, die Familienministerin, die „Deutschenfeindlichkeit" muslimischer Schüler „Rassismus" nannte. Das törichte Mädchen ist nur deshalb im Amt, weil es der hessischen CDU angehört. Durch derlei Geschwätz wird auch noch dem Ansehen der Politiker geschadet — weil die Aufgestachelten genau beobachten, dass die nur reden, aber nichts tun. Gottlob hat Wulff dem guten Deutschland eine Stimme gegeben.

Dieser Zwischenruf stand in der Printausgabe des aktuellen Stern.
(Via Dontyoubelievethehype)


18 responses to “Sarrazin hat ein Ungeheuer geschaffen

  • Thomas Wiegand

    WORD!! Besser kann man es nicht beschreiben…die gegenwärtige Gefahr einer rechtsabtriftenden Masse ist geboren…Zulauf in die Rechte Wahlecke wurde betoniert..der Weg dahin ist nun noch einfacher und für den „Deppen Mitten im Leben Konsumierer“ eklärbar geworden…Schuss ging genau ins Ziel…Dank an unsere Politikfuzzis…noch nie war die die Politik entfernter vom Volk als heute..!!

  • Karl Edward

    [Lieber Karl Eduard. Ich habe deinen „Beitrag“ entfernt. Bitte beachte die Diskussionsregeln; NDM]

  • buch leser

    Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach Sarrazin das Sachinteresse für die Integrations-Debatte ab: „Angela Merkel hat nicht nur mein Buch kritisiert, sie hat auch die Bundesbank indirekt aufgefordert, mich aus dem Vorstand zu entfernen. Außerdem hat sie öffentlich erklärt, dass sie mein Buch nicht gelesen hat und auch nicht lesen wird. Daran mögen Sie das Interesse der Kanzlerin an der Sache, um die es hier geht, ablesen.“ Zitat Sarrazin. Wie auch immer, man kann dazu stehen wie mal will, Tatsache ist, dass das Thema wieder von der Tagesordnung verschwunden ist. So ist die Politik und dann wundern sich die Politiker, wenn immer weniger Menschen zur Wahl gehen, bzw. extreme Parteien gewählt werden.

  • Bernd Fouquet

    Schoen zu sehen, dass es neben dem Zirkus Sarrazyni auch noch sowas wie Vernunft in Deutschland gibt.

    Man kann bloss hoffen, dass an Thilo’s Geschwaetz wirklich so ueberhaupt nix dran ist oder man muss sich als Deutscher tatsaechlich Gedanken um seine eigene Erbgesundheit machen.

    Wenn man die derzeitige Debatte in Deutschland beobachtet, dann kommt es einem naemlich so vor als ob es anstatt des Sarrazin’chen „Judengens“ vielleicht ein echt deutsches Gen geben koennte, so ’ne Art „Nazi-Gen“.

  • Eva

    Bravo! Die jüngsten Umfragen zu dem Thema haben mich erschüttert. So viel Mangel an historischem Denken! Wir hatten Bewährung in der Weltgemeinschaft, aber wir tendieren dazu, die Bewährungsauflagen zu verletzen.
    Vor Jahrzehnten hat man die Fremdlinge „Gastarbeiter“ genannt. Aber Gäste läßt man nicht vor der Tür stehen. Wir haben diese Menschen niemals wirklich hereingebeten und wundern uns dann, wenn da eine bittere, zornige Generation herangewachsen ist.

  • Stern nennt Kristina Schröder “törichtes Mädchen” « Angst vor Folter ist keine Phobie

    […] seiner aktuellen Print-Ausgabe schreibt der Stern: Den Verstand verloren hat zu Teilen auch die Politik. Kristina Schröder etwa, die […]

  • antifo

    Wie will Joerges türkischen und arabischen Jugendlichen klarmachen, daß natürlich auch Frauen zu achten und ernst zu nehmen sind, wenn die Leitartikeler in unseren Zeitungen mit derart schlechtem Beispiel vorangehen und Sachargumente mit sexistischen Phrasen abtun? Vom “törichten Mädchen” das angeblich “den Verstand verloren” hat ist es doch nur ein kleiner Schritt zur “deutschen Schlampe”, die quasi „wieder mal eine Tracht Prügel braucht“.

  • Brukterer

    Ich glaube eher der Herr Jörges hat den Verstand verloren,anstatt solch einen Blödsinn zu schreiben,
    brauchter sich doch nur die Realität in Deutschland anzusehen.
    Sarrazin hat in allem RECHT

    • NDM

      Also eines hat die Sarrazin-Debatte gezeigt:
      Seine xenophobe Gefolgschaft argumentiert nicht.

      • Oliver

        Also bisher stellt sich das eigentlich eher umgekehrt dar. Da werden dem bösen rechten Sarrazin Sachen angedichtet, die er weder geschrieben noch gesagt hat, und im gleichen Zuge eine gutmenschliche Faktenresistenz an den Tag gelegt, dass einem tatsächlich ein kalter Schauer über den Rücken laufen muss.

        [Lieber Oliver. Bitte begründe diese Behauptung; NDM]

    • tobi

      lieber bruckterer, ich wette mit ihnen sie kennen die türken bestimmt nur von fernsehen.
      wenn ja ( was ich auch fest glaube ) haben sie nichts mitzureden. das vorurteil ist die grösste krankheit des menschen

  • Aufgewacht

    [Kritik an der Moderationspraxis bitte per eMail; NDM] ist halt doof wenn man merkt das es immer mehr Menschen gibt die aufwachen und merken wie dieses Land, seine Politiker und die sog. Elite denkt.

    Wir brauchen keine kriminellen Ausländer, wir brauchen keine integrationsunwilligen Menschen, wir brauchen keine Zuwanderung die es sich im sozialen Netz gemütlich macht.

    Deutschenfeindlichkeit unter speziell moslemisch/islamischgeprägten Jugendlichen ist in veieln Teilen dieses Landes offenkundig und wird totgeschwiegen.

    Wäre schön wenn die Gutmenschen auch mal bereichert würden oder Ihre Kinder in einer Schule mit 70-über 90% Migrantenanteil.
    MFG

    • NDM

      Niemand „wacht auf“. Es brechen Deutsch-xenophobe Einstellungen auf.

      Ein Großteil der Sarrazin-Fans kennt, wie tobi es schon andeutet, Zuwanderung höchstens aus dem TV, in Form von „Ich hab da mal ein Kopftuch gesehen“ oder – fast schon typisch für PImaten – vom Stammtisch, also von einem selektiven Narrativ. Erzählungen, die das eigene Vorurteil nicht bestätigen, halten sie für „Gutmenschliche Schönfärberei“. Wenn die Realität jedoch „Gutmenschlich“ sein soll, dann ist sie es halt.

  • Stimmen aus dem deutschen Untergrund « Kruppzeuch

    […] Hier ist der Artikel, auf den sich die inhaltsbestätigenden Reaktionen beziehen. Auch zu diesem Artikel, der lediglich die Leserbriefe kommentarlos abdruckt, gab es PIsche Reaktionen. Einige davon gibt es hier bei Dybth zu lesen. Es geht bei PI & co. offensichtlich um nichts anderes, als um die Kultivierung von Verdummung und Hass. […]

  • Robert

    Einige Kommentare hier sind recht seltsam.

    [Bitte halte dich an die Diskussionsregeln. Danke.]

  • Robert

    [Fragen, Anregungen und Kritik bezüglich der Moderationspraxis bitte per Mail. Siehe Diskussionsregeln. NDM]

  • Robert

    Euch Drecks-Pisser müßte man an die Wand stellen!

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