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Gedanken zum Kopftuch

Das muss ja nicht versteckt bleiben. Angesichts eines Blogposts “Das Kopftuch als Befreiung?” hinterließ ich einen kritischen Kommentar zum Kopftuch, in dem ich sowohl meine Abneigung gegenüber diesbezüglicher staatlicher Regulierung, aber auch meiner Abneigung gegenüber derartigem gesellschaftlichen Normzwang Ausdruck verlieh:

Meiner Ansicht nach hat (religiös-)traditionalistische Kleidung sehr häufig etwas von einer Art geschlechtsspezifischer Uniform, die den Status eines Menschen innerhalb seines direkten Gesellschaftlichen Kontextes markiert. Was die grundlegende gesellschaftliche Funktion derartiger Kleidung angeht, existieren keine prinzipiellen Unterschiede zwischen einem Frauenrock und einem Tschador. Beide betonen das jeweilige Geschlecht als die primäre Eigenschaft des Menschen.

Die Begründung ist es, die den bedeutendsten Unterschied ausmachen. Während der Frauenrock in Europa gesellschaftlich verhandelt werden konnte(und heute ungebrochen bezüglich Minirock, Tschador usw. weiterverhandelt wird), können Verfechter von islamisch-traditionellen Bekleidungsstücken eine Art sakrale Bedeutung behaupten. Dies macht es unheimlich schwer, das Thema gesellschaftlich zu Verhandeln.

Ich bin kein Freund religiöser oder traditioneller Kleidung, aber auch kein Freund von Verboten und Pflichten. Vielmehr sehe ich es als wichtig an, dass Frauen, bevor sie sich solche Kleidungsstücke überziehen, genau wissen, was sie tun und vor allem weshalb – und dies auch artikulieren können. Das Argument: “Mohammed/Allah hat gesagt, dass ich es tragen muss”, ist hierbei für mich ebenso wenig überzeugend wie: “Das hat man bei uns immer gemacht.” – denn man hat sehr vieles “immer schon gemacht”, und Mohammed hat auch vieles gesagt. Sklaverei, Steinigung, Handabhacken, usw. ließen sich ebenso leichtgläubig rechtfertigen, sind jedoch aus Vernunftsgründen vielerorts(leider noch nicht überall) ersatzlos abgeschafft worden, obwohl sie im Koran und Hadithen sogar viel deutlicher erwähnt werden, als das Kopftuch.

Ebenso wie die Abschaffung der Sklaverei damit begründet wurde, Mohammed habe schrittweise auf die Abschaffung hingewirkt, also der innere Sinn von entsprechenden Reformen extrahiert und vollendet wurde, ließe sich dies auch auf Bekleidungsnormen anwenden. Es ging im Kern schließlich darum, die als “aufreizend” empfundenen Facetten der – damals(!) üblichen – Kleidung(die zufälligerweise auch eine aus vorislamischer Zeit bekannte Haarbedeckung beinhaltete) zu “entschärfen”. Heute und hier ist eine andere Kleidung üblich. Man kann also auch sagen, dass Sure 33 Vers 60 “zieht eure Tücher tiefer”, bedeutet, dass die hier und heute als aufreizend geltende Kleidung, z.B. Miniröcke, bitte länger/bedeckter sein sollen.

Hierdurch bleibt zwar auch das unhinterfragte Bild des Mannes, der (verzeihlicherweise) im Verstand zu schwach ist, weiblichen Reizen zu widerstehen und es deshalb die Aufgabe der Frauen sei, seinen Fehlern vorzubeugen, sowie das unhinterfragte Bild der Frau, die Verführung (und damit die schuldige) für die sündige Tat zu verkörpern.

Dieses Menschenbild ist so alt wie Adam und Eva und wie der Spruch: “Die wollte das doch, so wie sie angezogen war.”

Das Problem ist: Wenn man das Menschenbild hinter solchen Kleidungsvorschriften kritisiert, bekommt man es ganz schnell auch mit christlich-konservativen Hardlinern zu tun, die es im Grunde teilen. Dennoch – oder gerade deshalb – halte ich es für sinnvoll, dass jungen Menschen auch das Hinterfragen von Menschenbildern nahegebracht wird. Einen bekenntnisunabhängigen Ethikunterricht – ruhig auch parallel zum bekenntnisunabhängiger Religionskunde – halte ich daher für ebenso sinnvoll, wie eine neue Diskussion über den Begriff “Religionsmündigkeit”.


Wo ist der Fehler?

In Fribourg(Schweiz) wurde einer Muslimin die Sozialleistung um 15% gekürzt, weil sie sich für ihren neuen Arbeitgeber nicht aussziehen ihr Kopftuch nicht ablegen wollte.

Nun kann man sich mit gutem Recht fragen, ob diese suggestive Illustration mit der Burka nur zufällig das erste Bild einer Fotostrecke ist, in der die Unterschiede zwischen den vielen Kleidungsstücken dargelegt wird…

Scrollt man auf der Seite aber etwas herab, räumen sich sämtliche Zweifel, es könne sich um einen dummen Zufall handeln, aus:

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Es wird ein Niqab(Gesichtsschleier) abgebildet – im Text geht es jedoch nur um das Kopftuch.

Der Pantoffelpunk hat die Funktion solcher Illustration gut beschrieben:

Unterstützung findet solch eine repressive Politik gegen die Schwächsten der Gesellschaft – hüben wie drüben – im Boulevard, denn wenn man den online-Bericht der Nachrichtenseite 20 Minuten Online aufruft, sieht man die Überschrift “Weniger Geld wegen Kopftuch“, die mit einem Super-Symbolfoto garniert wird, das einen abendländisch geprägten Leser nur zustimmen lassen kann: Klar, das muss dann sein.

Zur Erinnerung – SO sehen Kopftücher aus:

kopftuch_DW_Politik_386150g.jpg (480×320)

Sieht etwas weniger bedrohlich aus, oder? Bei aller Liebe… Man kann es wirklich übertreiben. Noch mehr: Diese Art des Journalismus kann man mit Recht als “Hetze” bezeichnen.


Burka, Bomben und Iran – Interview mit Eshkevari

Ein sehr interessantes Interview mit dem Exil-Iraner gibt der Standard her. Hier etwas gekürzt:

Zur Person:

Der Reformkleriker lebt seit 2005 im Exil, derzeit in Italien. Zuvor war er vier Jahre im Iran in Haft. Ein iranisches Sondergericht für Geistliche hatte zuerst ein Todesurteil ausgesprochen, das aber in zweiter Instanz in eine Haftstrafe umgewandelt wurde. Der Grund für seine Festnahme: Eshkaveri hatte sich im Jahr 2000 bei einer Iran-Konferenz in Berlin kritisch gegenüber dem Regime geäußert. Unter anderem hatte er gesagt, das Kopftuch für muslimische Frauen wäre optional.

Zum Burkaverbot in Belgien im Vergleich zur Kopftuchvorschrift im Iran sagt er:

(…) kann man mit dem gleichen Recht erwarten, dass die islamische Republik westlichen Frauen vorschreiben darf, dass diese sich bei einem Besuch des Landes nach islamischen Gesetzen kleiden.

Oder anders: Beide Bekleidungsvorschriften bestätigen und legitimieren sich gegenseitig.

Weiter geht er auf die Erniedrigungserfahrung ein, die solche Gesetze erzeugen können, und die Gefahr, die daraus resultiert:

Aus dieser Masse werden dann Leute rekrutiert, die bereit sind sich eine Bombe umzubinden (…). Aus lauter Zorn und aus Revanche für die Erniedrigung.

Zu den Protesten im Iran:

Es gibt eine Parallele zwischen der Entwicklung dieser Bewegung und der Entwicklung des Reformdenkens im Islam seit den vergangenen 30 Jahren. Die Erfahrung mit Ahmadinejads Regierung, besonders innerhalb des vergangenen Jahres, hat die Menschen mehr in die Richtung eines neuen Weges getrieben.

Von Vollkommenheit möchte er jedoch in Bezug auf Moussavi und Karrubi nicht sprechen, aber zumindest von einem “Schritt in Richtung Reform”.

Bezüglich dem relativ verbreiteten Traditionalismus europäischer Muslime sagt er:

Dafür sind zwei Gründe ausschlaggebend: Der erste ist, dass sie, indem sie ihre Heimat verlassen haben, neue Entwicklungen nicht mitgemacht haben. Der zweite Grund ist die islamfeindliche Haltung, die sie in Europa erfahren. Diese beiden Tatsachen drängen sie in ihre eigene Identität, in der sie sich sicher fühlen und diese Positionen vehementer zu vertreten.

Will heißen: Diskriminierung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen an die Identität und Tradition der Eltern und Großeltern klammern.

Dazu kommt(und das sind nicht seine Positionen): manche nehmen auch zur Kompensation der Diskriminierungserfahrung Identitätsangebote wahr, die selbst Diskriminierung im Programm haben(z.B. Nationalismus, Rassismus, Islamismus). Das ist ein Teufelskreis, und hier sollte man mit einer möglichst konsequenten und glaubwürdigen Durchsetzung von Antidiskriminierungsgesetzen ansetzen. Glaubwürdig in der Hinsicht, dass bei Diskriminierung immer mit gleichem Maß gemessen wird, völlig unabhängig davon, welcher Bevölkerungsgruppe Subjekt und Objekt der Diskriminierung angehören.

Ähnliches fordert Eshkevari, wenn es darum geht, den reformorientierten Islam innerhalb Europas zu unterstützen:

Die Muslime mit den eigenen Bürgern über einen Kamm scheren und nicht mit zweierlei Maß messen.

Bezüglich dem Iran empfiehlt er, Medien sollen Menschenrechtsverletzungen wahrnehmen und offen thematisieren.

Für die Ausbildung Junger Muslime empfiehlt er, Themen wie Menschenrechte und Demokratie besser zu vermitteln.

Zudem empfiehlt er, Muslime nicht immerzu dazu zu nötigen, Stellung zum Terrorismus zu nehmen. Vielmehr sollten sie als gleichwertige Staatsbürger behandelt werden.

Dann werden sie sich auch als verantwortungsvolle Bürger der Länder im Westen fühlen, die eben auch eine islamische Identität haben. Aber sie werden nicht, wie es leider Gottes immer wieder passiert, in die Opposition getrieben.

Auf die Frage hin, ob der Iran eine islamische Republik oder eine Militärdiktatur sei:

Es gibt weder eine unabhängige Regierung, noch eine unabhängige Justiz. Das sind alles Instrumente, die den militärischen Kräften zur Verfügung stehen.

Bei der Frage, ob ein reformorientierter Präsident gegen Militär und Klerus ankommen könnte, meint er, die Bedingungen und Voraussetzungen müssen stimmen, insbesondere eine breite Unterstützung in der Bevölkerung sei wichtig. Diese habe sich in den letzten Jahren verbessert. Dies müsse weiter- und mit einer klaren Programmatik einhergehen. Er ist optimistisch, falls sich der Trend fortsetzt.

Die Ursache des Widerstands gegen Ahmadinejads Wiederwahl sieht er in der Unterdrückung und Erniedrigung der gesamten Bevölkerung in seiner ersten Amtszeit, und er ist der Ansicht, es gebe auch viele reformorientierte Stimmen innerhalb des Klerus.


Kopftuch? Was ist eigentlich…

…Mitpachat? Tichel? Sheitel?

“Mitpachat” ist das hebräische Wort für den Jiddischen Begriff “Tichel”. Beides bezeichnet etwa das, was man im arabischen “Hijab” nennt, und auf Deutsch “Kopftuch”. Ein paar Worte zum Ursprung des religiösen Kopftuches(Ich hoffe mal, ich gebe alles korrekt wieder):

Das Kopftuch entspringt einer jüdischen Tradition, nach der die verheiratete Frau ihr Haupthaar bedecken soll. Orthodoxe Juden interpretieren Numeri 5:18 entsprechend. Nach Elberfelder:

Und der Priester stelle das Weib vor Jehova und entblöße das Haupt des Weibes, und lege auf ihre Hände das Speisopfer des Gedächtnisses; es ist ein Speisopfer der Eifersucht; und das fluchbringende Wasser der Bitterkeit soll in der Hand des Priesters sein.

Die Zniut (hebr.: Sittsamkeit, hier ein Satirischer Text) bezeichnet unter anderem Grenzziehungen, was die Bekleidung angeht. Beispielsweise soll die Bekleidungsform nicht zu störenden erotischen Reizen führen. Beginnend mit der Mischna(die ersten Jahrhunderte nach Christus) entwickelte sich die Vorstellung, das weibliche Haar habe als solches eine erotische Ausstrahlung. Dieser Umstand führte zum Haarbedeckungsgebot für verheiratete Frauen. Für “noch zu habende”, also unverheiratete Frauen, gilt dieses Gebot nicht.

Mit den Jahrhunderten entwickelten sich auch regional unterschiedliche Moden und Stile der Haarbedeckung, denn ein bestimmter Stil ist nicht vorgegeben. Es können also auch Hüte oder Kappen sein. Neben Kopftuch und Hüten gibt es daher auch den “Scheitel”, womit keine spezielle Frisur gemeint ist, sondern eine koscher produzierte Perücke. Diese Form der Haarbedeckung ist in Osteuropa entstanden. Ob bzw. in welcher Form diese Art der Haarbedeckung zulässig ist, ist unter orthodoxen Rabbinern umstritten.

Eine weitere Form der Kopfbedeckung nennt sich “Bandana”:

Da die diese Form der Kopfbedeckung keinen speziell jüdischen Ursprung hat, ist sie auch außerhalb des Judentums als beliebtes Modeaccesoire bekannt.

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Alles Kopftuch oder was?


Rassismus liberal?

Auf Anfrage, etwas zu einem Artikel zu schreiben, den ich eigentlich weder für besonders skandalös noch für besonders hervorhebenswert halte….

Johannes Kandel schreibt:

Rassismus und politischer Liberalismus schließen sich grundsätzlich aus. Schon der Titel von Carolin Emckes Text »Liberaler Rassismus« (ZEIT Nr. 09/10) ist daher widersinnig.

Dies mag sein, dennoch schließen sich in Liberalem Duktus geäußerte Polemiken und Rassismus nicht per Automatismus aus. In ihrem Text ist eine Strömung beschrieben, die zum Teil dem Liberalen Denken entnommene Argumente heranzieht, sie jedoch mit fremdenfeindlichen Spitzen versieht, und mit dieser Kombination in autoritärer und kollektivistischer Manier gegen “die Moslems” zu Felde zu ziehen. Diese “Islamkritiker” sollte man mit Anführungszeichen versehen.

Sie verschweigt hierbei nicht, dass Kritik am Fundamentalismus sehr berechtigt sein kann, und zwar bereits bei der orthodoxie beginnend. Dort nämlich, wo es autoritär zugeht und das patriarchat Macht ausübt. An diesem Punkt sind sich beide wieder einig. Einzig: Emcke hält es nicht für ein taugliches Mittel, gesetzliche Kleidungsvorschriften zu erlassen, um traditionellen Kleidungsvorschriften entgegenzuwirken.

Kandel schreibt noch davor:

Es ist nicht rassistisch, auf den Zusammenhang von Islam und Islamismus hinzuweisen.

Es ist auch nicht rassistisch, auf den Zusammenhang zwischen dem Christentum und den Irakkrieg als “Crusade”(O-Ton Bush) hinzuweisen. Eine Gleichsetzung hingegen, oder die Ableitung, die Religion als solches würde aus ihrem Kern heraus zwingend Kriege erzeugen, wäre allerdings ein Fehlschluss, denn die Bibel gibt – isoliert betrachtet – beides her: Das Gebot der Kriegsführung und Mission sowie das Gebot der Kriegsvermeidung. Selbiges gilt auch für die maßgeblichen Schriften des Islam. Wesentlich ist, unter welcher philosophischen, theologischen oder theosophischen Prämisse die Schriften ausgelegt werden. Viele gewaltbefürwortende Islamisten stehen möglicherweise indirekt in Tradition zu den Kharijiten und befürworten damit eine reine, wortwörtliche Lesart der Schriften: Wenn dort “Töten” steht, ist es für sie ein Gebot. Ebenso jedoch wie es “Rückbesinnungen” auf solche radikalen Strömungen leider gibt, gibt es jedoch auch Besinnungen, welche beispielsweise die Theologie der Muʿtazila aufgreifen und somit die Anwendung der menschlichen Vernunft und des Rationalismus mit dem Glauben vereinbaren und die Themen und die Wortwahl der Schriften im Kontext ihrer Entstehung einordnen können. Zwischen diesen beiden Strömungen gibt es 1001 weitere Strömungen. Es ist nicht rassistisch, sie zu unterscheiden, es ist auch nicht rassistisch, einige davon abzulehnen. Es ist auch nicht rassistisch, wenn man extremistische Strömungen schlicht verbietet. Religionsfreiheit heißt ja nicht Verstandsfreiheit.

Und wer den Zusammenhang von Islam und Islamismus deutlich anspricht, wird hierzulande inzwischen als »islamophob« oder gar als »anti-muslimischer Rassist« stigmatisiert.

Nein, das ist kein Rassismus. Völlig losgelöst von der Islamischen Geschichte kann man den Islamismus nicht betrachten. Apokalyptiker haben schließlich auch irgendwie mit dem Christentum zu tun, obwohl die Mehrheit der Christen eine solche Einstellung ablehnt. Eine Gleichsetzung solcher Strömungen mit der Religion hingegen wird von seriösen Kritikern nicht vorgenommen, sondern eben nur von den Rassisten, die das Thema auch mit weiteren Themen verknüpfen (Zuwanderung, Überfremdung, etc.).

Gleichwohl ist es richtig, in der Auseinandersetzung mit extremistischen Varianten des Islams nach Suren zu fragen, auf die sich Islamisten und Dschihadisten beziehen.

Der Zweck erschließt sich nicht. Es ist schlicht dumm und falsch, einen Koranvers auszupacken, eine Islamistische Auslegung heranzuziehen und diese “dem Islam” unterzuschieben, als sei sie für alle Strömungen gültig. Noch falscher ist es, dies dann “Islamkritik” zu nennen. Eine solche Interpretation ist schließlich nur aus Sicht der Islamisten gültig. Es kann also nicht darum gehen, so zu tun, als sei der Islamismus der “wahre Islam” oder seine “Essenz”. Indem man deren Auslegung eine Relevanz für den “Ottonormalmoslem” zuschreibt, die der Realität nicht entspricht, verleiht man den Islamisten genau die Beachtung und Legitimität, die sie mit ihrem Deutungshoheitsanspruch zu erlangen hoffen. Ob dies wirklich das Ziel einer solchen Debatte sein kann, wage ich zu bezweifeln.

Es ist richtig, den Einfluss der Extremisten auf die muslimischen Gemeinschaften abzuschätzen. Es ist richtig, den eliminatorischen Antisemitismus des Holocaust-Leugners Ahmadineschad zu verurteilen. Und es wäre sehr hilfreich, wenn Muslime selbst diese Zusammenhänge kritisch diskutierten – was viele erfreulicherweise ja auch tun.

Richtig, richtig, richtig. Auch die Kritik an Milli Görüs ist berechtigt.

Zum kern zurück: “Liberaler Rassismus”. Zum Rassismus im erweiterten Sinne zählt die Kollektive Zuschreibung:

Emcke behauptet, »jeder einzelne Muslim« werde »verantwortlich gemacht für Suren, an die er nicht glaubt, für orthodoxe Dogmatiker, die er nicht kennt, für gewalttätige Terroristen, die er ablehnt, oder für brutale Regime in Ländern, aus denen er selbst geflohen ist. Muslime müssen sich distanzieren von Ahmadineschad in Iran, den Taliban in Afghanistan, von Selbstmordattentätern und Ehrenmördern, und diese Distanzierung glaubt ihnen doch keiner, weil alles gleichgesetzt wird: Islam und Islamismus, Glaube und Wahn, Religiosität und Intoleranz, Individuum und Kollektiv.«

Ich kenne keinen liberalen Kritiker, der all das von jedem einzelnen Muslim verlangt.

Hier liegt er richtig, wenn es um überzeugte liberale geht. Als Individualisten schätzen sie sie jeden Menschen einzeln ein. kollektivistisches Denken und kollektivistische Zuschreibungen stehen dem Liberalismus fern. Kandel ist übrigens nicht weit entfernt von kollektivistischen Zuschreibungen, wenn er ignoriert, dass ein Kopftuch auch völlig frei getragen werden kann.

Zurecht schreibt Emcke daher:

Der Rationalismus der Aufklärung und der liberale Individualismus, auf die sich die Islamkritiker gern berufen, orientieren sich stets an der Autonomie des einzelnen Menschen. Was Aufklärung und Liberalismus verteidigen, ist das Selbstbestimmungsrecht des Individuums: Nicht Kirche, soziale Klasse und Herkunft sollen über das moderne Subjekt bestimmen dürfen, sondern die autonome, freie Wahl des Einzelnen muss vom Staat geschützt und verteidigt werden.

Ein Kopftuchverbot ist lediglich die andere Seite der Zwangsmedaille, welche nicht nur bei “Islamverstehern” ein Kopfschütteln hervorruft. Am zugrundeliegenden Problem, das in einigen Strömungen tatsächlich existiert, ändert es nämlich überhaupt nichts.

Und noch einmal:

Der Rationalismus der Aufklärung und der liberale Individualismus, auf die sich die Islamkritiker gern berufen

Man wende nun einmal den Blick weg vom Feuilleton und auf den Mund der lautesten “Islamkritiker”. Einschlägige Blogs, Sarrazin, Foren und “Bürgerbewegungen", die sich selbst mit dem Prädikat “Islamkritisch” schmücken. Genau diese sind letztlich gemeint, und genau dort findet man die Kollektivisten, die genau das tun, was Emke beschreibt. Sie greifen Argumente liberaler Natur auf und schminken damit ihre kulturalistische, mitunter rassistische Haltung liberal. Sie übernehmen Kritik von anderen, verkürzen sie, verallgemeinern sie und verknüpfen sie ganz offen mit der “Zuwandererfrage”. Hierbei erzeugen sie unter wiederum ihren Rezipienten eine irrationale Alarmstimmung, die mitunter auch Aggressivität erzeugt. Sie potenzieren fremdenfeindliche Ängste, die dann natürlich von rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Parteien aufgegriffen werden. Von einem “Türken raus” unterscheidet sich deren “Islamkritik” lediglich darin, dass es in pseudointellektueller Verpackung daherkommt.

Von daher hat Kandel völlig recht, wenn er schreibt:

Allerdings: Auch hinter »dumpfen Vorurteilen« kann sich Angst verbergen, die man in der Tat ernst nehmen muss. Der Ausgang des Volksentscheids zum Minarett in der Schweiz und die Erfolge von Geert Wilders Bewegung in den Niederlanden zeigen, wohin es führt, wenn solche Ängste nicht ernst genommen werden: Sie finden ein Ventil in rechtskonservativen, rechtspopulistischen Bewegungen.

Das ist allerdings kein Grund, Forderungen von “Rechtspopulisten” leichtfertig stattzugeben. Denn, so auch Emcke:

Natürlich gibt es eine richtige und notwendige Kritik an radikalem Fundamentalismus und Gewalt, ob sie nun von Muslimen oder Christen ausgehen(…)Aber der Unterschied zwischen Aufklärung und Rassismus macht sich daran fest, ob diskriminierende Praktiken und Verbrechen angeklagt werden – oder ganze Bevölkerungsgruppen. Die Gefahr für das Erbe der Aufklärung sind nicht Andersgläubige, sondern die Ideologen, die politische oder soziale Fragen in religiöse oder ethnische umdeuten. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind ebenso Feinde der europäischen Idee wie Glaubensfuror und Terrorismus.

Eine kritische Diskussion zur Orthodoxie und zum Islamismus zu führen ist notwendig und wichtig. Und sie ist gut, wenn sie ehrlich geführt wird, und nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, denn dann entgleitet sie nicht und es können daraus kaum die Forderungen von “Rechtspopulisten” entwachsen. Wichtig ist bei einem solchen Diskurs dennoch, sich ab und zu mal umzuschauen und nachzuprüfen, welche politische Wirkung er in der Vergangenheit entfaltet hat, und ob dies wirklich Sinn und Zweck der Veranstaltung war.


Pseudofeminismus

Ein interessanter Beitrag zur Islamophobiedebatte aus feministischer Sicht kommt von Ursula Müller und steht in der taz(hatte ich schon hier erwähnt).

Es geht um Minarette, Kopftücher, Die Entwicklung der Frauenrechte in Islamischen Ländern, mit dem Koran argumentierende Frauenrechtlerinnen in Deutschland, nicht existente diesbezügliche Außenpolitik, Obama, Taliban, Gastarbeiter.

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Menschenrechte aus der Perspektive Amerikas

Amerika prangert Deutschland wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte an!

Gegenstand der Rüge, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung von religiösen Minderheiten. Dabei kommt die Kopftuchdebatte in Deutschland besonders zur Sprache.

Das fortschrittlichste Land der Welt, spricht sich gegen eine Diskriminierung von Muslima aus, die wegen ihrer Kopfbedeckung im deutschen Alltag, wie auch im Berufsleben oft diskriminiert werden. Religiöse Rechte zu schützen, wird in Deutschland zum Instrument einer Islamdebatte, die in einer modernen Demokratie widersprüchlicher nicht sein kann. Man stellt sich hier lieber als Retter der Zivilisation dar und nimmt in Kauf, dass auch Muslima die das Kopftuch selbstbewusst tragen möchten, keine Chance auf eine ordentliche Religionsausübung haben.

Ein Beispiel für emanzipierten Umgang mit dem Kopftuch, die Neomuslima, wenn auch mir der Begriff neu ist und verständlicher Weise umstritten. Das Kopftuch als Selbstfindungsprozess, als eine Hilfestellung sich gegen äußere Einflüsse immun zu machen. Wofür sie Respekt verdient, denn in einer Zeit, wo es wichtiger scheint mehr abzulegen als anzulegen, muss es ein ungeheurer Akt der Selbstdisziplin sein, seine Schönheit nicht zur Schau zu stellen dafür aber den eigenen Kopf anzustrengen.

Wozu mir ein Zitat der Firstlady der Türkei einfällt in dem sie sagt:

„Das Kopftuch verdeckt mein Haar und nicht mein Gehirn!“

Jeder Frau in Deutschland steht es frei sich gegen Unterdrückung aufzulehnen. Dass es für viele Frauen nicht leicht ist sich gegen prügelnde unterdrückende Männer oder Familien auszusprechen ist Fakt, aber Fakt ist auch, dass eine Entscheidung, die sie nicht selber treffen darf, ihr nicht dabei hilft, sich zu wehren. Eine Regierung kann und darf die Rechte der Frauen schützen, sie darf ihr aber nicht eine mündige Entscheidung verbieten, wenn auch aus edlen Motiven heraus, denn genau das macht sie wieder unmündig!
Wenn die Muslima unterdrückt wird und Hilfe braucht, stehen ihr verschiedene Hilfsleistungen des Sozialstaates sowie auch Hilfsorganisationen zur Verfügung, selbst wenn sie nicht ausreichend Deutsch spricht. Das mag zynisch klingen in manch einem Ohr, doch es ist das Recht jeder mündigen Bürgerin sich zu bedecken oder es sein zu lassen und es ist ihre freie Entscheidung Hilfe anzunehmen. Indem die Regierung mit einem Verbot die Rechte der einen stärken möchte, nimmt sie der anderen das Recht auf Religionsfreiheit.

Frauennothilfe

Huda Netzwerk für Muslimische Frauen e.V.

AWO “Internationales Frauenhaus“