Auf Anfrage, etwas zu einem Artikel zu schreiben, den ich eigentlich weder für besonders skandalös noch für besonders hervorhebenswert halte….
Johannes Kandel schreibt:
Rassismus und politischer Liberalismus schließen sich grundsätzlich aus. Schon der Titel von Carolin Emckes Text »Liberaler Rassismus« (ZEIT Nr. 09/10) ist daher widersinnig.
Dies mag sein, dennoch schließen sich in Liberalem Duktus geäußerte Polemiken und Rassismus nicht per Automatismus aus. In ihrem Text ist eine Strömung beschrieben, die zum Teil dem Liberalen Denken entnommene Argumente heranzieht, sie jedoch mit fremdenfeindlichen Spitzen versieht, und mit dieser Kombination in autoritärer und kollektivistischer Manier gegen “die Moslems” zu Felde zu ziehen. Diese “Islamkritiker” sollte man mit Anführungszeichen versehen.
Sie verschweigt hierbei nicht, dass Kritik am Fundamentalismus sehr berechtigt sein kann, und zwar bereits bei der orthodoxie beginnend. Dort nämlich, wo es autoritär zugeht und das patriarchat Macht ausübt. An diesem Punkt sind sich beide wieder einig. Einzig: Emcke hält es nicht für ein taugliches Mittel, gesetzliche Kleidungsvorschriften zu erlassen, um traditionellen Kleidungsvorschriften entgegenzuwirken.
Kandel schreibt noch davor:
Es ist nicht rassistisch, auf den Zusammenhang von Islam und Islamismus hinzuweisen.
Es ist auch nicht rassistisch, auf den Zusammenhang zwischen dem Christentum und den Irakkrieg als “Crusade”(O-Ton Bush) hinzuweisen. Eine Gleichsetzung hingegen, oder die Ableitung, die Religion als solches würde aus ihrem Kern heraus zwingend Kriege erzeugen, wäre allerdings ein Fehlschluss, denn die Bibel gibt – isoliert betrachtet – beides her: Das Gebot der Kriegsführung und Mission sowie das Gebot der Kriegsvermeidung. Selbiges gilt auch für die maßgeblichen Schriften des Islam. Wesentlich ist, unter welcher philosophischen, theologischen oder theosophischen Prämisse die Schriften ausgelegt werden. Viele gewaltbefürwortende Islamisten stehen möglicherweise indirekt in Tradition zu den Kharijiten und befürworten damit eine reine, wortwörtliche Lesart der Schriften: Wenn dort “Töten” steht, ist es für sie ein Gebot. Ebenso jedoch wie es “Rückbesinnungen” auf solche radikalen Strömungen leider gibt, gibt es jedoch auch Besinnungen, welche beispielsweise die Theologie der Muʿtazila aufgreifen und somit die Anwendung der menschlichen Vernunft und des Rationalismus mit dem Glauben vereinbaren und die Themen und die Wortwahl der Schriften im Kontext ihrer Entstehung einordnen können. Zwischen diesen beiden Strömungen gibt es 1001 weitere Strömungen. Es ist nicht rassistisch, sie zu unterscheiden, es ist auch nicht rassistisch, einige davon abzulehnen. Es ist auch nicht rassistisch, wenn man extremistische Strömungen schlicht verbietet. Religionsfreiheit heißt ja nicht Verstandsfreiheit.
Und wer den Zusammenhang von Islam und Islamismus deutlich anspricht, wird hierzulande inzwischen als »islamophob« oder gar als »anti-muslimischer Rassist« stigmatisiert.
Nein, das ist kein Rassismus. Völlig losgelöst von der Islamischen Geschichte kann man den Islamismus nicht betrachten. Apokalyptiker haben schließlich auch irgendwie mit dem Christentum zu tun, obwohl die Mehrheit der Christen eine solche Einstellung ablehnt. Eine Gleichsetzung solcher Strömungen mit der Religion hingegen wird von seriösen Kritikern nicht vorgenommen, sondern eben nur von den Rassisten, die das Thema auch mit weiteren Themen verknüpfen (Zuwanderung, Überfremdung, etc.).
Gleichwohl ist es richtig, in der Auseinandersetzung mit extremistischen Varianten des Islams nach Suren zu fragen, auf die sich Islamisten und Dschihadisten beziehen.
Der Zweck erschließt sich nicht. Es ist schlicht dumm und falsch, einen Koranvers auszupacken, eine Islamistische Auslegung heranzuziehen und diese “dem Islam” unterzuschieben, als sei sie für alle Strömungen gültig. Noch falscher ist es, dies dann “Islamkritik” zu nennen. Eine solche Interpretation ist schließlich nur aus Sicht der Islamisten gültig. Es kann also nicht darum gehen, so zu tun, als sei der Islamismus der “wahre Islam” oder seine “Essenz”. Indem man deren Auslegung eine Relevanz für den “Ottonormalmoslem” zuschreibt, die der Realität nicht entspricht, verleiht man den Islamisten genau die Beachtung und Legitimität, die sie mit ihrem Deutungshoheitsanspruch zu erlangen hoffen. Ob dies wirklich das Ziel einer solchen Debatte sein kann, wage ich zu bezweifeln.
Es ist richtig, den Einfluss der Extremisten auf die muslimischen Gemeinschaften abzuschätzen. Es ist richtig, den eliminatorischen Antisemitismus des Holocaust-Leugners Ahmadineschad zu verurteilen. Und es wäre sehr hilfreich, wenn Muslime selbst diese Zusammenhänge kritisch diskutierten – was viele erfreulicherweise ja auch tun.
Richtig, richtig, richtig. Auch die Kritik an Milli Görüs ist berechtigt.
Zum kern zurück: “Liberaler Rassismus”. Zum Rassismus im erweiterten Sinne zählt die Kollektive Zuschreibung:
Emcke behauptet, »jeder einzelne Muslim« werde »verantwortlich gemacht für Suren, an die er nicht glaubt, für orthodoxe Dogmatiker, die er nicht kennt, für gewalttätige Terroristen, die er ablehnt, oder für brutale Regime in Ländern, aus denen er selbst geflohen ist. Muslime müssen sich distanzieren von Ahmadineschad in Iran, den Taliban in Afghanistan, von Selbstmordattentätern und Ehrenmördern, und diese Distanzierung glaubt ihnen doch keiner, weil alles gleichgesetzt wird: Islam und Islamismus, Glaube und Wahn, Religiosität und Intoleranz, Individuum und Kollektiv.«
Ich kenne keinen liberalen Kritiker, der all das von jedem einzelnen Muslim verlangt.
Hier liegt er richtig, wenn es um überzeugte liberale geht. Als Individualisten schätzen sie sie jeden Menschen einzeln ein. kollektivistisches Denken und kollektivistische Zuschreibungen stehen dem Liberalismus fern. Kandel ist übrigens nicht weit entfernt von kollektivistischen Zuschreibungen, wenn er ignoriert, dass ein Kopftuch auch völlig frei getragen werden kann.
Zurecht schreibt Emcke daher:
Der Rationalismus der Aufklärung und der liberale Individualismus, auf die sich die Islamkritiker gern berufen, orientieren sich stets an der Autonomie des einzelnen Menschen. Was Aufklärung und Liberalismus verteidigen, ist das Selbstbestimmungsrecht des Individuums: Nicht Kirche, soziale Klasse und Herkunft sollen über das moderne Subjekt bestimmen dürfen, sondern die autonome, freie Wahl des Einzelnen muss vom Staat geschützt und verteidigt werden.
Ein Kopftuchverbot ist lediglich die andere Seite der Zwangsmedaille, welche nicht nur bei “Islamverstehern” ein Kopfschütteln hervorruft. Am zugrundeliegenden Problem, das in einigen Strömungen tatsächlich existiert, ändert es nämlich überhaupt nichts.
Und noch einmal:
Der Rationalismus der Aufklärung und der liberale Individualismus, auf die sich die Islamkritiker gern berufen
Man wende nun einmal den Blick weg vom Feuilleton und auf den Mund der lautesten “Islamkritiker”. Einschlägige Blogs, Sarrazin, Foren und “Bürgerbewegungen", die sich selbst mit dem Prädikat “Islamkritisch” schmücken. Genau diese sind letztlich gemeint, und genau dort findet man die Kollektivisten, die genau das tun, was Emke beschreibt. Sie greifen Argumente liberaler Natur auf und schminken damit ihre kulturalistische, mitunter rassistische Haltung liberal. Sie übernehmen Kritik von anderen, verkürzen sie, verallgemeinern sie und verknüpfen sie ganz offen mit der “Zuwandererfrage”. Hierbei erzeugen sie unter wiederum ihren Rezipienten eine irrationale Alarmstimmung, die mitunter auch Aggressivität erzeugt. Sie potenzieren fremdenfeindliche Ängste, die dann natürlich von rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Parteien aufgegriffen werden. Von einem “Türken raus” unterscheidet sich deren “Islamkritik” lediglich darin, dass es in pseudointellektueller Verpackung daherkommt.
Von daher hat Kandel völlig recht, wenn er schreibt:
Allerdings: Auch hinter »dumpfen Vorurteilen« kann sich Angst verbergen, die man in der Tat ernst nehmen muss. Der Ausgang des Volksentscheids zum Minarett in der Schweiz und die Erfolge von Geert Wilders Bewegung in den Niederlanden zeigen, wohin es führt, wenn solche Ängste nicht ernst genommen werden: Sie finden ein Ventil in rechtskonservativen, rechtspopulistischen Bewegungen.
Das ist allerdings kein Grund, Forderungen von “Rechtspopulisten” leichtfertig stattzugeben. Denn, so auch Emcke:
Natürlich gibt es eine richtige und notwendige Kritik an radikalem Fundamentalismus und Gewalt, ob sie nun von Muslimen oder Christen ausgehen(…)Aber der Unterschied zwischen Aufklärung und Rassismus macht sich daran fest, ob diskriminierende Praktiken und Verbrechen angeklagt werden – oder ganze Bevölkerungsgruppen. Die Gefahr für das Erbe der Aufklärung sind nicht Andersgläubige, sondern die Ideologen, die politische oder soziale Fragen in religiöse oder ethnische umdeuten. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind ebenso Feinde der europäischen Idee wie Glaubensfuror und Terrorismus.
Eine kritische Diskussion zur Orthodoxie und zum Islamismus zu führen ist notwendig und wichtig. Und sie ist gut, wenn sie ehrlich geführt wird, und nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, denn dann entgleitet sie nicht und es können daraus kaum die Forderungen von “Rechtspopulisten” entwachsen. Wichtig ist bei einem solchen Diskurs dennoch, sich ab und zu mal umzuschauen und nachzuprüfen, welche politische Wirkung er in der Vergangenheit entfaltet hat, und ob dies wirklich Sinn und Zweck der Veranstaltung war.